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Olga Reznichenko

Rhythm Dissection

Leipzig, 10.09.2024
TEXT: Stefan Pieper | 

Schon das Debütalbum von Olga Reznichenkos Trio erntete euphorische Reaktionen. Jetzt wurde mit "Rhythm Dissection" ein zweites Release nachgelegt, das Reznichenkos Statement für ungezähmte Kreativität weiter bekräftigt. Es gebärdet sich noch wilder und freier, erhält sich dabei jedoch die Zugänglichkeit prägnanter, hymnischer Rocksongs. Beeindruckende Kostproben gab das Trio unter einem schattigen Baum in Südtirol, was genug , das zum sofortigen Albumkauf und tieferem Eintauchen animierte. Die Studioversion wirkt noch komprimierter, ja aufgeladener, bei viel praktiziertem Mut, scheinbar unvereinbare musikalische Elemente zu verschmelzen. All dies geht auf lang gereifte Live-Prozesse in vielen Konzerten zurück, was deutlich hörbar ist.

Das Album, aufgenommen im renommierten Bauer Studio Ludwigsburg auf einem Steinway D von 1920, legt gleich mit großer Geste los: Progressive, aber immer noch vertraut wirkende harmonische Strukturen prallen geschickt mit avantgardistischen Elementen zusammen. Diese Mischung, Reznichenkos sehr individuelle Handschrift, gibt den roten Faden vor und entfaltet mächtige Sogkraft. So wird verständlich, was sie mit "Schönheit durch Chaos" meint.

Die ernsthaft praktizierte Abenteuerlust breitet sich in beeindruckender Dynamik gleichberechtigt unter den drei Musikern aus. Das Trio, bestehend aus Reznichenko am Klavier, Maximilian Stadtfeld am Schlagzeug und Lorenz Heigenhuber am Kontrabass, zieht an einem Strang – notwendig, da die Grenzen zwischen Komposition und Improvisation in den epischen Bögen der Stücke weitgehend verschwimmen. Die Rhythmusgruppe, zu der auch viele perkussive Einwürfe vom Klavier selbst gehören, brilliert in einem Feuerwerk aus ungeraden Taktarten, polyrhythmischen Strukturen und deren ständiger Variation.

Reznichenkos Klavierspiel zeigt sich über alle Zweifel erhaben, balanciert virtuos und einfühlsam auf dem schmalen Grat zwischen Kontrolle und kalkuliertem Risiko. Ihre spielerische Versiertheit manifestiert sich in der beeindruckenden Autonomie von linker und rechter Hand – eine Konsequenz, die nur wenige Jazzpianisten beherrschen. Ihr ausgeprägter Sinn für Klangfarben legt imaginäre Farbschichten mächtig übereinander, was das Pathos von Rachmaninoff und das Aufrührertum von Prokofjew atmet und die Musik zusätzlich bereichert.

Dennoch bleibt Reznichenkos Spiel einfühlsam, wenn die Stücke auf "Rhythm Dissection" eine breite Palette an Stimmungen und Texturen ausbreiten. Sie schwingen sich zur hymnischen Intensität großer Rocksongs auf, kommen in exzessiv genutzten ungeraden Metren und abrupten Tempo- und Richtungswechseln scheinbar nie zur Ruhe.

Beim Titel "Solaris", inspiriert von Andrei Tarkowskis gleichnamigem Film, zeigt sich Reznichenkos Gabe, Atmosphäre in Klang und Ästhetik umzusetzen. Ihre Meisterschaft im Kreieren von Texturen offenbart sich eindrucksvoll, indem sie verschiedene Klangschichten zu faszinierenden klanglichen Landschaften verdichtet.

All dies zeugt von unstillbarer Neugier, die Reznichenko in diversen Besetzungen, Bands und Stilrichtungen auslebt – allein auf dem letzten Südtirol Alto Adige Festival war sie in fünf komplett unterschiedlichen Bands aktiv. "Rhythm Dissection" beweist, dass dieses Klaviertrio das Zentrum darstellt, in dem sich die vielfältigen Einflüsse, Erfahrungen und Erneuerungsprozesse wie in einem hochverdichteten Konzentrat bündeln und damit im besten, zeitlos klassischen Sinn einen plausiblen Gegenwartsjazz definieren.

Olga Reznichenko Trio

Rhythm Dissection (Traumton Records 2024)



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