Not Seeing Is A Flower
Phantasiereise unter Mitwirkung des großartigen Simon Nabatov
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker |
Zu dem großen in Köln lebenden Pianisten Simon Nabatov hat nrwjazz sich schon häufig geäußert, seine Konzerte in unterschiedlichen Besetzungen, seine CDs ernten allesamt begeisterte Aufnahme. So auch sicherlich bei dem gerade – wieder beim rührigen Label Leo Records - erschienen Album Not Seeing Is A Flower. Es handelt sich hierbei um einen Live-Mitschnitt, den Simon Nabatov mit drei Mitstreitern in dem legendären Candy in der Nähe von Tokyo aufgenommen hat – am Ende einer zweimonatigen Asien-Tour. Die CD verdeutlicht, wie das Flüchtige eines Konzerts, erst recht das einer improvisierten Musik, den Kulminationspunkt einer gewissen Festigung erreicht, einer Vertrautheit der Mitglieder, die aus sechs gemeinsamen Konzerten in Japan resultiert. Neben Nabatov besteht das Quartett aus dem japanischen Free Jazz-Saxophonisten Akira Sakata, dem Bassisten Takashi Seo aus Tokyo und dem australischen Drummer Darren Moore, mit dem Nabatov übrigens kürzlich im Kölner Loft zu erleben war (s. nrwjazz-Review).
Die sechs Tracks mit unterschiedlicher Länge und unterschiedlichem musikalischen Ausdruck eint ein hochenergetisches Ausbrechen aus tonalen Mustern. Das Nabatov-typische machtvolle Traktieren der 88 Tasten korrespondiert mit der ekstatischen Dauerexpression des Altsaxophons, Darren Morre und Takashi Seo halten diese auf einem hohen Energielevel. Ruhige, ja geradezu lyrische Besinnlichkeit entwickelt das Quartett in Retreat, die Nabatov in bluesige Farben taucht und mit allmählich steigerndem Tempo in ein Furioso steigert. Ähnlich bluesig, fast Bar-jazzig ist auch zunächst in Uncoil die musikalische Stimmung gehalten. Akira Sakatas Saxophonstimme verzerrt und demontiert dies jedoch schnell zu einer schweifenden Klagestimme, zurückhaltend begleitet von den anderen Instrumenten. Ein Bass-Solo, perkussive und verfremdet pianistische Einschübe – all dies erzeugt ein zauberhaftes klangliches Panoptikum in einer merkwürdig brodelnden Schwebe. Ritual ist ein schamanisch anmutender Gesang von Akira Sakata – Nabatovs Blitzläufe und Moores klanglich orientierte Perkussion tragen zur suggestiv-meditativen Wirkung bei. In Resolve bläst Sakata expressiv Klarinette, dem Titel entsprechend erreicht das Quartett eine losgelöste Freiheit des musikalischen Ausdrucks. Der letzte Track Abscond ist eine knapp viertelstündige Improvisations-Séance mit unterschiedlichen Temperaturen: von „heißem“ Ensemble-Spiel im ersten und letzten, von minimalistischem Klangzauber im Mittelteil.
Der Album-Titel zitiert ein japanisches Sprichwort, das auf die Inkongruenz von Realität und Phantasie verweist. Die Improvisation des Quartetts, die flüchtige wunderbare Phantasiereise der vier Musiker verführt zu einer solchen der Zuhörerschaft.
Akira Sakata, Simon Nabatov, Takashi Seo, Darren Moore: Not Seeing Is A Flower. Leo Records 2018. CD LR 843