Nils Landgren with Janis Siegel
some other time
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker |
Für wenige „Klassiker“ war die Verbindung von klassischer Musik und Jazz so selbstverständlich wie für den großen Musiker, Dirigenten, Komponisten und Pianisten Leonard Bernstein, der sich in seinen Kompositionen ebenso selbstverständlich intensiv der Stilmittel des Jazz bediente. ACT-Chef Siggi Loch besann sich dieses „Erbes“ und schlug Nils Landgren vor, gemeinsam mit einem Jazz-Trio, einem Klassik-Klangkörper und einer Jazz-Sängerin ein Tribute-Album zu produzieren. Das Ergebnis liegt nun vor: some other time. a tribute to leonard bernstein. Der auch in diesen Breiten bestens bekannte und ausgewiesene Star-Arrangeur Vince Mendoza wurde mit der Orchestrierung und Leitung der Bläser der Bochumer Symphoniker betraut. Die Rhythmus-Fraktion ist durch ein Jazz-Trio vertreten: Wolfgang Haffner am Schlagzeug, den Bassisten Dieter Ilg, der auch im Klassik-Bereich Erfahrungen gesammelt hat (etwa zu Verdi, Wagner und Beethoven), und den schwedischen Pianisten Jan Lundgren, der nordisch-europäische Piano-Idiomatik genauso vertritt wie amerikanische Jazztradition. Für das New York-Feeling sorgt Janis Siegel, bekannt aus dem A-Cappella-Quartett The Manhattan Transfer.
Die CD beginnt ihre Reverenz an den Vielfachkünstler mit dem Musical-Klassiker schlechthin, der West Side Story, mit America. In einer Multitrack-Solo-Aufnahme mit Nils Landgren an der Posaune hört man die Latin-durchwirkte Hymne des „freien Amerika“ in einer 38-Sekunden kurzen Version, bei der der sonst übliche optimistische Aufschwung des Stücks deutlich gebremst herüber kommt. Es folgt Some Other Time (aus On The Town) mit einer für die gesamte CD typischen Abfolge: ein langsam swingender Mood, eine elegant modulierende Posaune, die einsetzende Stimme von Janis Siegel, Nils Landgren als vorsichtig tastender Sänger, eine wohl gesetzte Bläserunterstützung, Duett des Gesangparts, Tutti, ein kurzer Solo-Ausflug der Posaune.
Stücke wie ein swingendes Cool, Somewhere , ein stilles melodiebetonendes One Hand, One Heart aus der West Side Story kommen ohne die Symphoniker-Unterstützung aus, sie zeigen die spielerischen Qualitäten des Quartetts und die sängerischen Einsätze von Nils Landgren. Somewhere – Bernsteins Traum von der besseren Zukunft – wird als stille Quartett-Nummer geboten, hier wie auf der gesamten CD erinnert die übrigens technisch perfekt präparierte Stimme von Landgren an den fragil-schüchternen Sound von Chet Baker. Die Posaunensoli führen die vokalen Ansätze in bewährter Modulationsvielfalt fort.
Das bekannte Motiv von Maria wird in einer Up-Tempo-Nummer von Landgrens Posaune umspielt, ein Bass-Solo und vor allem die Bläsersektion erweitern die motivische Bandbreite. Auf das besinnliche Somewhere folgt The Story Of My Life aus Wonderful Town mit einer starken Interpretation von Janis Siegel und dem Musikerensemble, die einen Hauch von Broadway erzeugt. Dies gilt auch für das Something’s Coming mit dem Gesangsduett von Landgren und Janis Siegel. Lonely Town oder A Quiet Girl sind demgegenüber deutlich zurückhaltender, bei Lucky To Be Me aus On the Town singt ausschließlich Janis Siegel unter Piano-Begleitung von Jan Lungern, gefolgt von einem Solo-Ausflug von Landgrens Posaune.
Der 12-Track-Reigen endet mit dem weniger bekannten A Simple Song aus dem Musiktheaterstück Mass (Hymn and Psalm) aus dem Jahre 1971, Bernsteins kontrovers aufgenommenem Stück für Friede und Mitmenschlichkeit und damit Ausdruck für seine ablehnende Haltung gegenüber dem Vietnamkrieg. Diese Abkehr vom amerikanischen Optimismus der 50er und 60er Jahre bildet nicht von ungefähr den Schlusspunkt einer CD, die vom gesamten Duktus her den Broadway-Flair des Bernstein’schen Musikkosmos in Erinnerung bringt – und zwar auf eine ausgesprochen dezente Weise. Mendozas subtiles Arrangement verzichtet völlig auf Streicher, die 18 Holz- und Blechbläser der Bochumer Symphoniker sind wohltuend zurückhaltend eingesetzt und sorgen an den „richtigen“ Stellen für entsprechende Klangfarben, ja Farbtupfer. Der voluntaristische Optimismus und der entsprechende Drive so mancher Bernstein-Nummer scheinen nicht nur rhythmisch gebremst zu sein. Some other time ist durchwirkt von einem melancholischen Grundton, die Melancholie des Verschwindens des grenzenlosen Optimismus und vielleicht gewisser identitätsstiftender Grenzen ist den Interpretationen anzumerken. In diesem Sinne ist das Tribute-Album ein Verweis auf eine andere Zeit, ohne diese nostalgisch verklären zu wollen. Das musikalische Material von Leonard Bernstein – bekanntes wie weniger bekanntes – und vor allem sein humanistisches Anliegen werden durch some other time in Erinnerung gerufen, das ist eine ganze Menge.
Nils Landgren with Janis Siegel: some other time. a tribute to leonard bernstein
ACT 9813-2 (auch auf Vinyl erhältlich: 9813-1)
Am 30.1.2016 ist Nils Landgren mit den Bochumer Symphonikern in Münster beim WDR3-Jazzfest zu erleben.