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Nicole Johänntgen

Solo 2

Zürich, 16.06.2022
TEXT: Stefan Pieper | 

Die in Zürich lebende Saxofonistin Nicole Johänntgen wählte für ihre zweite Soloaufnahme die Cappella di San Gottardo - in 2100m Höhe gelegen auf dem Scheitelpunkt der berühmten Alpenpassstraße - mit einer nachhall-gesättigten Akustik, die manchmal fast selbst zu einem Musikinstrument wird.

Ist der Mensch nicht ganz klein angesichts der Größe einer solchen Berglandschaft? Oder ist er doch ganz im Mittelpunkt? Das improvisierte Spiel ganz mit sich allein wurde zur Meditation über solche Seinsfragen.

Eng getaktete Zeitmaße sind überwunden, denn es sind - wortwörtlich genommen - höhere Dimensionen im Spiel.Aus einzelnen Tönen werden Intervalle, die sich zu Motiven formen. Immer neu und immer anders gefärbt. Vielleicht so, wie ein Naturszenario am Morgen allmählich erwacht? Das hektische Zeiterleben bleibt irgendwo da unten im Tal zurück, wenn die Musik weiter auf diesem Weg trägt. Erst nach vier Stücken formen die feinsinnigen Töne, Motive, Auszierungen, Atempausen und Verästelungen zum ersten Mal eine zusammenhängende Melodie, was wie die Erfüllung eines Planes wirkt, wo trotz aller assoziativen Freiheit viel Logik und noch mehr zerbrechliche Lyrik im Spiel ist. Denn Nicole Johänntgen ist eine viel zu universell erfahrene Musikerin, als dass sich alles im meditativen Aspekt erschöpfen würde. Was bleibt ist ein tiefer Ruhepuls, der gerne auch so so manche Assoziation an Zen-Meditation oder an die Befreiung der Zeitmaße durch Komponisten wie Morton Feldman weckt, aber dennoch komplett was eigenes bleibt.

Nicole Johänntgen hatte Dave Liebman als Mentor, betreibt gleich mehrere feste Bands und ist regelmäßig mit verschiedenen Projekten auf Live-Tournee. Ein noch junges Pflänzchen in diesem Spektrum ist ihr Soloprojekt, das mit einem ersten Release im Jahr 2019 begann und sich in regelmäßigen, je nach Moment und Spielstätte immer wieder anders gefärbten Liveauftritten beständig erneuert. Ihre dabei konsequent betriebene Abkehr vom sportlichen Wettstreit der vielen, manchmal allzu vielen Töne im, wirkt dabei wie ein – durchaus mal überfälliger - Paradigmenwechsel.

Das aktuelle Volume 2 entstand an einem lichtdurchfluteten Vormittag, was sich in den Klangfarben der zehn Stücke, welche sich zum Beispiel „Frühlingserwachen“, „Innehalten“ oder „Bergluft“ nennen, ohne weiteres ausdrückt. Zur Freiheit der Landschaft passt die Ausweitung des klanglichen Rahmens: Im letzten Teil tauscht sie das von meist favorisierte Altsax gegen das Baritonsax ein. Am Ziel des imaginären Weges greift sie auf das ursprünglichste musikalische Ausdrucksmittel zurück: Zum letzten Stück legt Nicole Johänntgen ihr Instrument beiseite und singt den Epilog zu dieser imaginären Erzählung.

Nicole Johänntgen

Solo II

Selmabird Records

VÖ: 17.6.2022

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