Neues aus der CD-Welt
Christoph Gieses Schnelldurchlauf Vol. 64
TEXT: Christoph Giese |
THE BAD PLUS: „Complex Emotions“ (Mack Avenue)
Es sind mit Bassist Reid Anderson und Drummer Dave King, die hier beide auch noch Synthesizer bedienen, zwar noch zwei Original-Bandmitglieder des ehemaligen (Klavier-)Trios übrig, aber The Bad Plus ist inzwischen ja ein klavierloses Quartett geworden. Mancher mag das bedauern, aber dieser Vierer mit Gitarrist Ben Monder und Saxofonist Chris Speed zelebriert auf dem zweiten Quartett-Album „Complex Emotions“ Rockiges ebenso wie ruhige Momente voller Schönheit, aber eben auch Komplexität. Dabei steht melodiöse Musik immer im Vordergrund. Ja, The Bad Plus sind eine andere Band geworden. Aber klangfarbenreiche Sounds und beseeltes Zusammenspiel machen hier viel Freude.
KRISTIN KORB: „Sweet Dreams“ Giant Sheep Music)
Anfang des Monats stellte sie ihr neues Album live im Oberhausener „Gdanska“ vor, im Trio mit den beiden Lokalmatadoren Martin Sasse am Piano und Peter Baumgärtner am Schlagzeug. Ein wunderbarer Konzertabend war das! „Sweet Dreams“ heißt die neue Platte der schon lange in Dänemark lebenden, sehr sympathischen US-Bassistin und Sängerin Kristin Korb. Und ja, es ist eine musikalische Hommage an das weltbekannte britische Pop-Duo Eurythmics. Eingespielt mit skandinavischen Musikern verwandeln sich die Ohrwürmer von Annie Lennox und Dave Stewart in den neuen Arrangements auf dem Tonträger in locker swingende Jazznummern, in groovende Tunes und berührende Jazzballaden. Echte, höchst hörenswerte Neuentdeckungen altbekannter Melodien.
ARNE JANSEN / ANDERS JORMIN / UWE STEINMETZ:
„The Pilgrimage“ (Traumton)
Auch wenn „The Pilgrimage“ keine Weihnachts-CD ist, die besinnliche, kammermusikaisch gehaltene Musik passt sehr gut in die Weihnachtszeit. Weil sie beseelt wunderschöne kleine Geschichten zwischen Jazz, Folklore und Klassik erzählt. Die beiden Deutschen, der Gitarrist Arne Jansen und Saxofonist Uwe Steinmetz, haben mit dem schwedischen Kontrabassisten Anders Jormin einen Bruder im Geiste gefunden um unterschiedliches Songmaterial, vielfach aus eigener Feder, in zarten und intimen Dialogen mit Gefühl und Weltoffenheit zu spielen. Eindrücke von Reisen rund um die Welt werden hier musikalisch verarbeitet, in einfühlsamer Vebundenheit. Musik für die Seele.
ULRIKE HAAGE: „Alles Licht“ (blue pearls music)
Sie als vielseitige Künstlerin zu beschreiben, ist fast schon untertrieben. Mit wem hat die in Kassel geborene und im Ruhrgebiet aufgewachsene Ulrike Haage nicht schon alles zusammen Musik gemacht. Mit FM Einheit, Phil Minton oder den Rainbirds. In der Coronazeit suchte die Pianistin, Komponistin und Klangkünstlerin nach einem Instrument das neue Klänge in eine nun veränderte Welt bringen kann. Und entdeckte die Orgel für sich. Klavier und Orgel, mehr hört man auf „Alles Licht“ nicht. In Zusammenarbeit mit dem Organisten Daniel Stickan entstanden und in einem hölzernen Kirchenraum aufgenommen, der klanglich fast an ein Tonstudio erinnert, nimmt Ulrike Haage den Zuhörer mit auf fantasievolle Klangreisen. Die machen auch mal bei der hebräischen Melodie von Ravels „Kaddish“ halt, das von Ulrike Haage neu gedacht magisch schön klingt.
BILL EVANS: „In Norway“ (Elemental Music)
Es ist doch immer wieder schön wenn aus den Archiven feine, bislang unveröffentlichte Musikschätze gehoben werden. So wie in diesem Fall, denn „In Norway“ bietet einen bislang noch nicht erschienenen Mitschnitt eines Auftritss des Trios von Bill Evans im Sommer 1970 beim Jazzfestival im norwegischen Kongsberg. Und der US-Pianist, der gerade ein Entzugsprogramm von seiner Drogenbabhängigkeit begonnen hatte, präsentierte sich mit Bassist Eddie Gomez und Drummer Marty Morell in blendender Form. Fast 80 Minuten bekommt der Fan hier insgesamt 13 Stücke aus dem Repertoire des Pianisten zu hören. Evans interpretiert diese oft temperamentvoll und mit für ihn ungewohnt hartem Anschlag. Eine großartige Erinnerung an einen großen Jazzmusiker.
ALEX BAYER: „A Slight Change Of Plans“ (KLAENG Records)
Der Nürnberger Bassist und Komponist Alex Bayer veröffentlicht mit „A Slight Change Of Plans“ ein wirklich spannendes Jazzalbum. Weil es auf seinem neuen Tonträger nämlich wunderschöne Stücke wie die poetische Ballade „September 15th“ zum Auftakt gibt, deren melodisches Motiv Bayer und seine drei kongenialen Mitstreiter Loren Stillman am Saxofon, Max Arsava am Klavier und Drummer Bill Elgart gleich mal aus mehreren Blickwinkeln betrachten. Dann gibt es rhythmisch vertrackte und stolpernde Groovenummern oder auch freies Improvisieren. Das ganze Album lebt von freiheitlicher musikalischer Kommunikation, die trotzdem Verbindungen produzieren. Modern Jazz at ist best!
AMPARO SÁNCHEZ: „Ritual Sonoro“ (Mamita Records)
Mit ihrem fünften Soloalbum meldet sich die Sängerin und Leiterin der spanischen Mestizo-Band Amparanoia zurück. Und Amparo Sánchez präsentiert sich auf „Ritual Sonoro“ im intimen Trio mit dem argentinischen Folklorekünstler und Gitarristen Raly Barrionuevo und dem katalanischen Sänger und Gitarristen Willy Fuego. Drei Gitarren und die Stimmen, mehr braucht es hier nicht um hier zwischen Son, Bolero, Tex-Mex, Chacarera oder auch Reggae persönlich und auch mal spirituell zu unterhalten.
EYAL LOVETT: „Where Do We Go From Here?“ (Berthold Records)
Musik als Mittel zur Bewältigung von schrecklichen Geschehnissen – für den israelischen Pianisten und Komponisten Eyal Lovett ist sein neues Album genau das. Während in seiner Wahlheimat Dänemark alles ruhig und friedlich ist, überfiel die Hamas Israel und richtete ein Massaker an der grenznahen Bevölkerung an. Diesen Schmerz in Töne zu setzen, viele Stücke sind nach dem Überfall der Hamas entstanden, das hat Lovett gemeinsam mit Bassist Jan Sedlak und Drummer Yogev Shetrit versucht. Klar dass die Musik da emotional klingt, nachdenklich und auch mal ein wenig düster. Aber Hoffnung und Positivität schimmert ebenso durch in dem lyrischen, von mehreren musikalischen Einflüssen geprägten Modern Jazz des Trios.