Neues aus der CD-Welt
Christoph Gieses Schnelldurchlauf Vol 61
TEXT: Christoph Giese |
HENRIQUE GOMIDE / DAPHNE OLTHETEN: „Brasis • Sonho De Lá“ (Challenge)
Die Kombination von Klavier und Violine ist in der brasilianischen Volksmusik alles andere als populär. Es gibt nur wenige Duos in dieser Besetzung. Warum eigentlich, mag man sich fragen wenn man den aktuell in Köln lebenden, brasilianischen Pianisten Henrique Gomide im Duo mit der niederländischen Geigerin Daphne Oltheten hört. Beide spielen schon über ein Jahrzehnt als Duo zusammen und verzaubern auf ihrer neuen Platte mit kammermusikalischer Elegaz, gespeist aus dem großen Repertoire brasilianischer Musik. Sehr gefühlvoll, aber auch virtuos begegnen sich die beiden in Stücken von Egberto Gismonti, Baden Powell, Pixinguinha oder Chico Buarque, zwischendurch auch mal unterstützt von Gästen wie Sängerin Anna Serierse oder Schlagwerker Antoine Duijkers.
JASMIN BAYER: „Poetic License“ (TIMEZONE Records)
Sieben Songs aus eigener Feder, drei James Bond-Titel, ein paar Jazzstandards und den Siegersong von Conchita Wurst beim ESC vor genau zehn Jahren - die Bandbreite des neuen Albums von Jasmin Bayer ist schon groß. Und die Münchener Sängerin kann das alles auch wunderbar singen mit ihrer warmen, ausdruckstarken, mit vielen Nuancen arbeitenden Stimme. Und wird dabei immer bestens unterstützt von ihrer vorzüglichen Band um Pianist Davide Roberts. So ist ein über 74 Minuten langes Album entstanden, das Jazz mit Popappeal und gelungenen Arrangements verbindet. Wohlfühl-Musik in unterschiedlichsten Färbungen und Stimmungen, die vom ersten bis zum letzten Titel bestens unterhält.
JULIA KRIEGSMANN QUARTET: „Dark Days & White Nights“ (JazzHausMusik)
Ein Debüt, das sich hören lassen kann, veröffentlicht Julia Kriegsmann mit „Dark Days & White Nights“. In der Besetzung Altsaxofon, Vibrafon (großartig der Essener Michael Knippschild ) Bass und Schlagzeug sowie mit Gastsängerin Sara Decker bei zwei Stücken gibt es von der in Bonn geborenen Saxofonistin bis auf Jimmy van Heusens „Like Someone In Love“ ausschließlich Selbstkomponiertes zu hören. Und das ist wirklich gut. Zeitgenössischer Jazz, der die Bandleaderin als fantasievolle, vielseitige Komponistin und virtuose Musikerin zeigt.
PAULINE RÉAGE: „Gentle Destruction“ (Boomslang)
Benannt nach dem Pseudonym der französischen Schriftstellerin Anne Cécile Desclos, die in den 1950ern den weltberühmt gewordenen erotischen Roman „Geschichte der O“ schrieb, musiziert sich das Leipziger Quartett Pauline Réage auf „Gentle Destruction“ durch eine wilden, aufregenden Mix aus Noise, Metal, Indiepop, oder Jazz, beim dem die Verbindung von Lyrik und Text mit den Klängen die tragende Säule ist. Das Quartett ist das Projekt der Texterin und Sängerin Anne Munka, die hier zusammen mit Pianistin Olga Reznichenko, Bassist Robert Lucaciu und Schlagzeuger Maximilian Breu dramaturgisch aufgebaute, sehr expressiv gespielte, komplexe Musik zwischen notiertem Material und freien Improvisationen spielt, die dennoch poetisch wirkt. Schwer das ganz präzise in Worte zu fassen. Offene Hörer ohne Berührungsängste werden ihre wahre Freude an diesem Werk haben.
JAZZAMOR: „Reworks – 20 Years Of Jazzamor“ (Blue Flame)
Man denkt schon ein wenig an Rio und ans berühmte „Girl from Ipanema“ wenn man das von einem Elektro-Bossa Nova-Beat angeschobene, superlässig vorgetragene „The Autumn Display“ hört, den einzig neuen Song auf einer Werkschau des Frankfurter Duos Jazzamor. Seit zwei Dekaden reisen Pianist und Soundingenieur Roland Grosch und Sängerin Bettina Steingass schon durch die Welten des Lounge Jazz und haben mit ihrem so eingängigen Mix zwischen Jazz, Bossa und Electro-Pop die Welt getourt. Zum Jubliäum gibt es jetzt neben dem einen neuen Stück elf weitere Nummern neu zu entdecken - unveröffentlichte Edits, Reworks und Remixe. Wer früher schon nichts mit dem zart-blassen, hingehauchten Gesang und den easy-schönen Klängen anfangen konnte, den werden auch diese „Reworks“ nicht abholen. Jazzamor-Fans aber dürfen sich auf die überarbeiteten Versionen alter Ohrwürmer freuen.
WOLFGANG MUTHSPIEL SOLO: „Etudes/Quietudes“ (Clap Your Hands)
Im Alter von 13 Jahren wechselte er von der Geige an die akustische Gitarre und wurde dann als Interpret klassischer Msuk ausgebildet. Die Gitarre ist seitdem das Instrument von Wolfgang Muthspiel. Nun gibt es mit „Etudes/Quietudes“ ein Soloalbum auf der Akustikgitarre des österreichischen Musikers, live aufgenommen im ORF RadioKulturhaus in Wien. Mit schwerpunktmäßig Konzertetüden, die Muthspiel selbst komponiert hat. Hier lotet der Gitarrist die Klänge seiner Gitarre voll aus. Eine Sarabande von Bach, eine Hommage an Bill Evans oder ein Thema von Drummer Paul Motion runden ein ebenso virtuos wie gefühlvoll gespieltes Album ab, an dem wohl in erster Linie Gitarrenmusik-Fans großen Gefallen finden werden.
AVISHAI COHEN: „Brightlight“ (naïve)
Der Mann hat es einfach drauf! Tolle Melodien zu schreiben oder Material anderer Komponisten großartig neu zu interpretieren. Beides macht Bassist Avishai Cohen auf seinem neuesten Werk „Brightlight“. Dazu hat sich der Israeli ein paar fantastische Musiker ins Studio geholt, etwa Landsmännin Roni Kaspi am Schlagzeug, den Pianisten Guy Moskovich oder Saxofonist Yuval Drabkin. Genau das richtige Line-Up um zweischen jüdischen Folkmelodien, Weltmusik, klassischen Anleihen und natürtlich Jazz gefühlvolle Musik zu interpretieren oder locker zu swingen. Da kann die Vorlage auch mal der „Liebestraum“ von Franz Lizst sein. Und „Summertime“ direkt im Anschluss als Ska-Version mit Avishai Cohen auch als Sänger – frischer hat man den Gershwin-Gassenhauer lange nicht gehört.
CHET BAKER: „Late Night Jazz“ (Hot Club Records)
Zum Schluss noch ein Leckerbissen für alle Fans von Chet Baker, das der legendäre Trompeter nur ein paar Monate vor seinem tragischen Tod nach einem Fenstersturz aus einem Amsterdamer Hotel in Frankreich eingespielt hat. In einem Pariser Tonstudio traf sich der Amerikaner für zwei Tage mit Gitarrist Philip Catherine, Pianist Egil Kapstad und Bassist Terje Venaas und spielte die 16 Stücke ein, die nun unter dem Titel „Late Night Jazz“ erscheinen. In ruhigen, intimen Dialogen spielt sich das Quartett, aus dem nach den Aufnahmen eine Band entstehen sollte, was Bakers Tod leider verhinderte, durch ein Programm aus überwiegend bekannten Jazzstandards und verwöhnt dabei mit viel Sensitivität und großer Ausdruckskraft. Eine wunderschöne Erinnerung an eine Jazzlegende.