Neues aus der CD-Welt Christoph Gieses Schnelldurchlauf Vol. 59
TEXT: Christoph Giese |
BRIAN LANDRUS: „Plays Ellington & Strayhorn“ (Palmetto Records)
Der große Duke Ellington hat sich mal dazu bekannt, dass er seine Orchester-Kompositionen immer mit dem einzelnen Musiker im Sinn komponiert hat und nicht für ihre Instrumente. Genau andersherum geht nun Brian Landrus die Sache auf seiner musikalischen Hommage an Ellington und seinen häufigen Kompositionspartner Billy Strayhorn an. Denn der amerikanische Spezialist für die tief tönenden Holzblasinstrumente wie Bariton- und Basssaxofon, Bassflöte oder Bassklarinette nimmt eben genau diese und weitere Klarinetten und Flöten als Ausgangspunkt für seine interessanten Interpretationen von Ellington und Strayhorn-Nummern. Im Quartett mit Gitarrist Dave Stryker, Kontrabassist Jay Anderson und Drumer Billy Hart gewinnt er den zumeist sehr bekannten Melodien so neue Facetten ab und kreiert dabei immer wieder herrlich dunkle Färbungen. Durch Overdubbing der diversen Blasinstrumente scheinen hier zudem nicht nur vier Beteiligte zu spielen, sondern ein kleines Orchester. Tolle Idee, sehr fein umgesetzt.
SVERRE INDRIS JONER & THE CUBAN OPERA ORCHESTRA
„Clasicos a lo Cubano – Live in Havanna“ (Indris Pro AS)
Schon eine verrückte Idee, dieses Album. Sverre Indris Joner, ein norwegischer Pianist, reist mit seinen Jungs vom Hovedøen Social Club nach Kuba, um den Kubanern zu zeigen wie man Salsa spielt und Klassiker von Mozart, Beethoven, Tschaikowsky, Chopin oder Brahms in kubanische Musik überführt. Zusammen mit dem Cuban Opera Orchestra spielen sie Konzerte im National-Theater von Havanna. Die Aufnahmebänder liefen mit und so gibt es nun die „Clasicos a lo Cubano“ auf Tonträger verewigt. Und man muss sagen: Die Idee hat sehr gut funktioniert. Wie der Ungarische Tanz Nummer 5 von Johannes Brahms im Salsa-Rhythmus lässig tänzelt oder wie der erste Satz aus Beethovens 5. Sinfonie in ein feuriges Latin-Feuerwerk eingebettet mit viel Drama regelrecht hochgepusht wird, das klingt schon richtig klasse. Und den Kubanern gefällt dieser wilde Mix anscheinend auch bestens, wie der begeisterte Beifall dieser Live-Einspielung erahnen lässt.
JAVON JACKSON / NIKKI GIOVANNI: „Javon & Nikki Go to the Movies“ (Solid Jackson Records)
Es ist nicht die erste Zusammenarbeit von Saxofonist Javon Jackson mit der Poetin Nikki Giovanni. Jetzt haben sich die beiden US-Amerikaner ein paar Standards aus dem Great American Songbook vorgeknöpft, von denen einst viele für Hollywood-Filme komponiert wurden. Aber auch Javon Jackson hat drei Stücke zu diesem Album beigefügt und eine Sonny Rollins-Nummer ist auch zu hören. Reizvoll ist hier die Verbindung der eher lakonisch vorgetragenen Gedichte von Nikki Giovanni im Verbund mit etwa Kurt Weills „Speak Low“ oder Javon Jacksons „Have You Heard“ zu erleben. Sängerin Nicole Zuraitis ist auch auf drei Nummern zu hören auf diesem abitioniertem Album.
MIGUEL ZENÒN: „Golden City“ (Miel Music)
Mit seinem Quartett ist Miguel Zenón schon seit vielen Jahren ein echter Meister zwischen Jazz und Latin. Mit „Golden Circle“ bringt der Altsaxofonist aus Puerto Rico nun ein Konzeptalbum für ein Nonett mit gleich drei Posaunisten heraus. Eine elfteilige Suite hat Zenón hier komponiert, die die demografische und politische Entwicklung der Stadt San Francisco beleuchtet. „Golden City“ ist ein musikalischer Tribut an die ganzen Einwanderer in San Francisco, Chinesen, Japaner, Mexikaner und andere. Wie immer bei Zenón ist die Musik rhythmisch und harmonisch spannend und bisweilen komplex und stilistisch flexibel und vielseitig. Ein starkes Statement!
ALTO FOR TWO: „Alto For Two“ (Berthold Records)
Ein Quintett mit gleich zwei Altsaxofonisstinen – das ist das Quintett Alto For Two. Die Katalanin Irene Reig und die Niederländerin Kika Sprangers, die auch mal zum Sopran greift, ergänzen sich hier wunderbar, agieren mal zweistimmig, mal in auholenden Dialogen miteiander. Die Rhythmusgruppe um den fantastischen, spanischen Pianisten Xavi Torres liefert den passenden Unterbau für die beiden Damen, der mal zarte Klanggebilde entstehen lässt, aber auch Stücke voller Energie bereithält. Live im Bremer Sendesaal eingespielt, ist hier ein exzellentes Werk des zeitgenössischen, frisch klingenden Jazz entstanden.
CINEMA PARADISO: „Empty Empty“ (Challenge Records)
Zwischen akustischen Strukturen und elektronischen Klängen schafft die Band Cinema Paradiso bisweilen cineastische Klangwelten. Saxofonist Kurt van Herck, Gitarrist Willem Heylen, Schlagwerker Eric Thielemans und Tastenmann Jozef Dumoulin lassen sich in ihren Stücken dabei viel Zeit und gegenseitig Räume. Und lassen so Musik entstehen, die (kraft-)voll tönt, rockig und von Improvisationen durchzogen daherkommt, aber auch verschlungene Wege geht und dann mit allerlei Sounds gefüttert den Zuhörer schon mal ein wenig fordert.
JULIAN ARGÜELLES: „DoubleSpeak“ (Escapade Records)
Alle Stimmen auf den Saxofonen, Klarinetten oder Flöten spielt er selbst ein. Dazu noch Keyboards und Perkussion, obwohl er mit dem kürzlich verstorbenen, lange erkrankten Briten Martin France und dem Norweger Helge Andreas Norbakken zwei echte und großartige Schlagwerker ins Tonstudio bat. Bruder Steve Argüelles mischt hier auch noch mit einigen Drum Loops. In erster Linie aber spielt der ehemalige Loose Tubes-Saxofonist Julian Argüelles eine in Teilen improvisierte, zumeist melodische Musik, die mittels Sampletechnik und Musiksoftware wächst und voluminös wird, obwohl sie in erster Linie nur von einer einzigen Person kreiert wird. Das Schöne an „DoubleSpeak“ ist dass mit den technischen Möglichkeiten behutsam und immer im Sinne der Musik umgegangen wird.
BERNHARD WIESINGER: „Enlightened“ (Double Moon Records)
Mit US-Gitarrist Peter Bernstein hat er in seiner niederösterreichischen Heimat auf einem Jazzfestival mal gemeinsam gejammt. Auch den russischen Bassisten Boris Kozlov traf er dort das erste Mal. Und Drummer Bill Stewart spielt schon lange zusammen mit seinem Landsmann Bernstein. So hat sich nun ein Quartett gefunden, mit dem Saxofonist Bernhard Wiesinger sein zweites Album unter eigenem Namen eingespielt hat. Ergänzend ist auch noch die taiwanesische Vibrafonistin Chien Chien Lu auf drei der neun der überwiegend vom Bandlader komponierten Stücke zu hören. Das in New York aufgenommene „Enlightened“ klingt auch wie eine gut geölte US-Aufnahme, im positiven Sinne. Zu hören ist elegant swingnder, moderner Mainstream voller Energie und Spielfreude. Diese Platte macht durchweg viel Spaß.