Neue Platten, zum 25. Mal
Christoph Gieses Schnelldurchlauf
TEXT: Christoph Giese |
Und schon ist ein viertel Hundert voll: Christoph Giese empfiehlt neue Platten aus allen Stilrichtungen des zeitgenössischen Jazz in seinem 25. Schnelldurchlauf!
Julie Campiche Quartet: You Matter (yellowbird/enja)
Jazz und Harfe – beim Quartett der Schweizer Harfenistin und Komponistin Julie Campiche steht dieses Instrument in ihrer eigenen Band natürlich im Fokus. Und klingt in den allesamt von ihr oder Mitgliedern ihrer Band komponierten Stücke des zweiten Albums des Quartetts völlig natürlich in einem für dieses Instruemnt normalerweise eher unüblichen Jazzkontext. Campiche, Saxofonist Leo Fumagalli, Bassist Manu Hagmann und Schlagwerker Clemens Kuratle warten auf You Matter mit weitestgehend akustischer Musik auf, die aber mit elektronischen Effekten verfremdet wird und den Zuhörer auf vielschichtige, modern jazzige Klangreisen mitnimmt. Die Songs haben vielfach sozialkritische Botschaften, was vor allem beim Stück „Fridays Of Hope“ unüberhörbar ist, sind hier doch gesampelte Auszüge einer Rede von Klimaaktivistin Greta Thunberg in die Musik eingewoben.
Ziv Ravitz and Lionel Loueke: Within This Stone (Intuition)
Gitarre, ein wenig Stimme sowie Drums – daraus entstehen bei Lionel Loueke und Ziv Ravitz fein gesponnene, intime Dialoge, die stimmungsmäßig vielfarbig schillern. Der aus dem westafrikanischen Benin stammende Gitarrist und Sänger, dessen Mentor niemand Geringeres als Jazzikone Herbie Hancock war und ist, und der israelische Schlagzeuger, den die Jüdische Allgemeine mal als „Taktgeber der jungen israelischen Jazzszene“ beschrieb, trafen sich Ende 2021 zu einem Duo-Konzert in einem Schweizer Club. Die Aufnahmebänder liefen mit und so lässt sich dieses Konzert jetzt auf Tonträger nachhören. Mit Musik, die mal bedächtig daherkommt, dann vertrackt groovt, sogar leicht rockige Momente hat, sich in improvisatorische Felder begibt, um dann wieder sehr soulful zu klingen.
Ahmad Jamal: Emerald City Nights: Live at the Penthouse (1963-1964) und (1965-1966) (Jazz Detective)
Der US-Musikproduzent Zev Feldman hat eine Spürnase für alte Aufnahmen großer Jazzmusiker. Und so entdeckte er auch bislang unveröffentlichtes Material von Ahmad Jamal. Die Pianolegende aus Pittsburgh, inzwischen schon stolze 92 Jahre alt, musste dann erst mal überredet werden, diese Aufnahmen freizugeben. Es hat geklappt und so kommt man nun in den Genuss von zwei Doppel-CDs, die Mitte der 1960er Jahre im Penthouse Jazzclub in Seattle mitgeschnitten wurden und Ahmad Jamal in verschiedenen Trio-Settings zeigen. Dieser Club existierte nur sieben Jahre, aber Größen wie John Coltrane, Stan Getz, Little Richard oder Aretha Franklin raten dort auf. Und Ahmad Jamal. Er spielt Jazzstandards und ein paar eigene Stücke. Und man hört vor allem seine frappierende Eigenständigkeit, seinen Sinn für Rhythmik, seine Eleganz beim Klavierspiel. Miles Davis hat ihn mal seinen Lieblingspianisten genannt. Beim Abspielen dieser großartigen Aufnahmen ahnt man warum.
Adrian Younge & Ali Shaheed Muhammad – Garrett Saracho: Jazz Is Dead 15 (Jazz Is Dead)
In der Runde 15 der Reihe Jazz Is Deadpräsentieren die beiden HipHop-Produzenten und Musiker Adrian Younge & Ali Shaheed Muhammad den Pianisten Garrett Saracho, der schon in den 1970er Jahren fürs Impulse-Label aufnahm oder Musik für Blockbuster-Filme beisteuerte. Nun hat er seine erste neue Musik seit Jahrzehnten eingespielt, mit einer ganzen Menge an Musikern. Und wie in dieser CD-Reihe üblich klingt das Ergebnis hip und retro zugleich. Und voller Wärme. Die Songs grooven oder kommen lässig um die Ecke, klingen spacig, dann wieder orchestral. Klasse!
Mata Atlântica: Retiro e Ritmo (Iapetus)
Ein Besuch des Mata Atlântica, dem Küstenregenwald Brasiliens, hat bei Mathias Derer nachgewirkt. Über 90% dieses Tropenwaldes sind inzwischen vernichtet. Ein Gespräch mit seinem Freund, dem Musiker Markus Reuter, haben dann zu diesem musikalischen Projekt geführt, für das Reuter Musiker wie Gary Husband, Brian Krock, Raphael Preuschl, Luca Calabrese, Andi Pupato und Gaststimmengewinnen konnte. Auf der Basis von Feldaufnahmen der Klanglandschaft des Waldes sind Rhythmen und Melodien entstanden und übereinandergeschichtet worden zu einer Fusion/Art-Rock/Jazz-Mischung, die in langen Stücken vielschichtige, bunte Klangbilder erstrahlen lässt. Die Lebendigkeit und Schönheit dieser Musik wünscht man sich auch für die Zukunft des Atlantischen Regenwaldes. Auch wenn das fast 23-minütige letzte Stück O Fim Do Mundo mit seinen schwebenden, ruhig fließenden Sounds schon recht melancholisch geprägt ist.
Oddgeir Berg Trio: While We Wait For A Brand New Day (Ozella)
Entstanden sind diese Aufnahmen zum Abschluss einer Trilogie von drei CDs im März 2020, kurz vor dem ersten Lockdown. Entsprechend hoffnungsvoll klingt die Musik des norwegischen Pianisten Oddgeir Berg und seinen zwei Partnern Karl-Joakim Wisløff am Kontrabass und Lars Berntsen am Schlagzeug. Wenn dann noch ein Gast am Altsaxofon für eine Nummer dazustößt, wird der Sound richtig hell. Ansonsten wandelt der nordische Dreier zwischen melancholischen Klängen mit Popappeal, locker Groovigem bin hin zu virtuos gespieltem, knackigen Jazzrock.
Marcus Klossek Electric Trio: Tales From The Edge (Double Moon)
Noch ein Trio, hier aber bestehend aus E-Gitarre, E-Bass und Schlagzeug. Gitarrist Marcus Klossek, Bassist Carsten Hein und Schlagzeuger Derek Scherzer präsentieren sich hier als kompakte Einheit und kurzweilige Geschichtenerzähler. Groovender Jazz ohen Schnörkel und Abwege. Dabei wird aber auch mal am Gitarrensound, etwa mit Delay-Effekt, ein wenig herumexperimentiert. Und auch der Herr am Bass mag es schon mal mal spacig. Ansonsten: ein sehr solides, auch mal rockiges, spaßmachendes Jazzgitarrentrio.