'Music for Black Pigeons'
Ein wunderbarer Film über das Wesen des Jazz
TEXT: Heinz Schlinkert |
So unterschiedlich das Wesen des Jazz daherkommt, so trifft das auch für Filme über den Jazz zu. Seit Ende September läuft die Jazz Doku 'Music for Black Pigeons' in den Kinos. Erst kurz vorher war dort ‚Jazz Fieber’ zu sehen. Schon wieder ein Jazzfilm? Doch dieser neue Film ist ganz anders und wird dem Wesen von Jazz und Improvisation viel eher gerecht.
"Every day I pick up the instrument and it feels like I'm just starting." Bill Frisell
"I don't wanna just play the saxophone on the top of what other people are playing. I wanna play within what's happening."
Joe Lovano
"For me music is not entertainment. It's life." Midorf Takada
"It's a search of meaning." Palle Mikkelborg
Viele Antworten geben die Musiker im Film auf die Frage, was Musik eigentlich ist. Doch letztlich bleibt die Antwort in der Schwebe. ‚It‘s the mistery of music’ scheint noch die zutreffendste Antwort zu sein.
Über 14 Jahre haben Jørgen Leth und Andreas Koefoed den dänischen Gitarristen Jakob Bro bei seiner Arbeit begleitet und den Prozess seiner Entwicklung, auch im Privatleben, dokumentiert. In Studios in New York, Kopenhagen und Lugano war er mit vielen Musikern in Kontakt. Weltberühmt sind Bill Frisell, Lee Konitz, Paul Motian, Joe Lovano und Mark Turner. Auch die japanische Percussionistin Midori Takada, der Kontrabassist Thomas Morgan, die Drummer Joey Baron, Jon Christensen und Andrew Cyrille und der Trompeter Palle Mikkelborg sind dabei. Drei der Musiker sind inzwischen verstorben.
Dieser Film hinterlässt Spuren, denn er ist mehr als eine Dokumentation. "A film composed like a piece of music“ hat man ihn zur Recht genannt, denn hier geht es nicht um Jazzgeschichte und um Standards wie in 'Jazz Fieber', sondern um Entstehung und Sinn von Musik.
Interaktionen in der Band
Der Film beginnt mit Lee Konitz, der in seiner Wohnung in New York auf seinem Alto Sax nur mit dem Geräusch der Klappen improvisiert. Dann kommen die ersten Töne, mit denen er gar nicht zufrieden ist; „No good“. So werden zunächst einzelne Musiker mit ihrem Instrument vorgestellt, doch bald schon treffen sie sich in einem Studio. Alltägliche Abläufe, die man sonst kaum kennt, werden gezeigt: Begrüßung einschließlich Stolpern über ein Kabel, Absprachen, erstes Warmwerden und Herantasten über gemeinsames Intonieren und Improvisieren. Auch Informationen, wie lange ein Rohrblatt eines Saxofons hält, wenn man 20 Minuten durchgängig spielt, gehören dazu.
Viele Szenen in verschiedenen Band-Konstellationen sind zu sehen, meist bei Aufnahmen in Studios. Zwischendurch kurze Interviews in denen es vor allem um den 'Sinn der Musik' geht. Über die anfangs angeführten Zitate geht es dabei um 'suchen', 'sich finden', 'sich verlieren', 'teilhaben' und 'eine Art, das Leben zu feiern'.
In den Konzert-Sequenzen werden immer wieder Kommunikationsabläufe in der Band gezeigt. Die Musiker - es sind fast ausnahmslos Männer - hören aufeinander, sie beobachten sich und kommunizieren über Mimik und Körperhaltung. Und das wirkt über die Zeit des Zusammenspiels hinaus, meint Jakob Bro: „Wenn man mit ihnen gespielt hat, sind sie ein Teil von einem.“
Gegen Ende des Films tritt auch eine Musikerin auf: Die japanische Perkussionistin Midori Takada im Duo mit Bro. Jetzt nicht mehr im Studio, sondern bei einem Konzert in Berlin. Takadas Spiel enthält tänzerische Elemente, die beim Wechsel der Instrumente besonders deutlich werden. Die Gespräche der beiden, auch in Japan, machen ihre Vertrautheit deutlich, mit ihrer Musik wollen sie „Herzen öffnen“.
"A pause tells very much. Where you want to go . And very much where you come from."
Manfred Eicher, Produzent des Films und Gründer der ECM Records, verdeutlicht mit diesem Satz, wie bedeutsam Pausen sind. Der ganze Film wirkt entschleunigt, obwohl in nur 92 Minuten ein langer Zeitraum mit stetig wechselnden Personen und Orten dargestellt werden. So ist das Interview mit dem Bassisten Thomas Morgan bemerkenswert, wenn er darüber spricht, dass er nicht übt, um keine Gewohnheiten zu entwickeln, um beim Konzert spontan spielen zu können. Auf die Frage, was ihm Musik bedeute, sagt er lange gar nichts. Hier ein großes Lob für den Regisseur, der diese Pause zulässt und uns zeigt, wie der Bassist mit der Antwort ringt, auch wenn dieser am Ende keine hat. ‚It‘s the mistery of music’
Lee Konitz ist heimliche Hauptperson in diesem Film
Am Ende geht es wieder um Lee Konitz, die heimliche Hauptperson des Films. Bro erzählt in einer Rückblende, wie Konitz die Idee von der ‚Black Pigeon‘ hatte und wie Konitz ihn dann anrief und den Jazz mit dem Bild der schwarzen Taube in Verbindung brachte (‚schräge Vögel‘ mit schwarzen Wurzeln). Der Alterungsprozess von Konitz, der am Ende schon über 90 Jahre alt war, wird im Film sehr deutlich. Ist die Szene wirklich notwendig, in der der sichtlich desorientierte Konitz nach einer Blattschraube für sein Mundstück sucht, sich in ein Taxi setzt und dem Fahrer weder sagen kann, wohin er fahren soll, noch wie das Geschäft heißt? Konitz ist in der Covid-Zeit an einer Lungenentzündung verstorben, sein Grabstein ‚Lee Konitz 1927-2020‘ wird gezeigt, ebenso wie dessen Aussage, er habe ein „great life“ geführt.
Musik – Improvisation - Jazz
Seltsam - das Wort Jazz kommt kaum vor im Film, meist ist nur von ‚Musik‘ die Rede. Damit kann allerdings nicht jede Art von Musik gemeint sein, denn das konstitutive Element der dargestellten Konzerte ist die Improvisation und hier ist in erster Linie der Jazz ‚zuständig' incl. neuer Entwicklungen im Bereich ‚Jazz beyond‘.
Das Publikum kommt im Film gar nicht vor. Studioaufnahmen und private Sessions sind das eine, Jazzkonzerte aber das andere. Im Film findet die musikalische Aktivität überwiegend im Studio statt, erst am Schluss im Rahmen eines Konzerts. Christian Müller hat in seinem Buch ‚Doing Jazz‘ gezeigt, dass zur ‚Konstitution einer kulturellen Praxis' neben Instrument, Musikern und Zusammenspiel der Musiker auch die Konzertsituation mit Raum und Publikum gehört. Wie die einzelnen Musiker in der Band sich gegenseitig beeinflussen, so ist das auch bei Band und Publikum der Fall. Doch hierzu könnte man wohl noch einen weiteren Film drehen. Der aktuelle Film war mit 90 Minuten gerade lang genug, um sich ihn danach erneut zu vergegenwärtigen, um nachzuforschen und um sich auf nächste Konzerte zu freuen, die man nun bestimmt noch aufmerksamer verfolgen wird.
Music For Black Pigeons (2022)
Dokumentarfilm 92 min.
Startdatum 21.09.2023
Regie Jørgen Leth und Andreas Koefoed