Mulo Francel
The Melody Sax
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Rene van Voorden, Franz Heller, Alamy photostock
Von Mulo Francel haben wir schon viel gehört. Erst im letzten Dezember hat unsere Redakteurin Vera Marzinski das gleichnamige Album von Quadro Nuevo rezensiert. Im März erschien zusammen mit Paulo Morello und Sven Faller 'Living is easy, mostly'. Das neue Album ist etwas ganz Besonderes.
Wie der Titel des Booklets ‚My C-melody sax and me‘ schon sagt, ist es ein sehr persönliches Album. In dem ausführlichen und bebilderten Booklet berichtet Mulo von seiner Entdeckung des C-Melody Sax, mit Exkursionen in die eigene und in die Jazzgeschichte.
„An einem bewölkten Tag kaufte ich auf einem Flohmarkt ein Instrument für nur 125 Dollar, für das sich offensichtlich niemand außer mir interessierte. .. Bei dem Preis musste man zuschlagen, auch wenn das Ding wirklich alt war, aus irgendeinem dünnen Messing, und aussah wie ein in der Wäsche eingelaufenes Tenor-Saxophon. Vielleicht ein Saxophon für Kinder? Oder eine Verirrung eines längst verstorbenen bizarren Instrumentenbauers? Am nächsten Tag brachte ich es zum Saxophonladen Roberto‘s: „Was ist das?“
"Die Antwort: Ein C-Melodie-Saxophon von Conn in Elkhart, Indiana. 1920er. Ziemlich wertlos, weil so etwas niemand mehr spielt. Billig, weil sowas niemand will, außer exzentrische Sammler historischer Instrumente. Außerdem haben diese Hörner eine miserable Intonation. Trotzdem gelang es mir, Roberto zu überreden, das seltsame Stück zu renovieren. ... Als es fertig war, hob ich es auf und brachte es zu einem ersten Date in den Central Park. Eine Liebesgeschichte begann!"
Mulo in New York
Beim Ausprobieren des neuen Instruments erinnerte sich Mulo an die Fassung von Body and Soul von Coleman Hawkins (1929) und dachte dabei an seine Urgroßeltern, die fast im selben Jahr nach Amerika ausgewandert waren, in dem sein neues Sax „geboren“ wurde: 1923. Mulos Fassung klingt schon anders als bei Hawkins, vor allem wegen des Pianosounds und des Gitarren Solos.
Mulo hat Charlie Chaplin immer an seinen Urgroßvater erinnert. Der Film ‚Der Goldrausch‘ (1925) war ursprünglich eine Stummfilmkomödie, für die Chaplin erst Jahre später die Musik schrieb. Mulo hat dieses ursprünglich 8-taktige Motiv als ‚Love Theme‘ in eine 17-taktige Form erweitert. 'The Man I Love' wird mit Mulos Urgroßmutter in Verbindung gebracht.
MULO back home
Zurück in Europa hat Mulo sein neues Instrument in Studioaufnahmen eingesetzt, natürlich auch bei Quadro Nuevo. Bei einem Konzert in München spielte er 'After You’ve Gone', 'Bye Bye Blackbird' und 'S‘Wonderful'.
„Viele der alten Lieder lernte ich auf dem Raddampfer kennen. Nicht auf dem Mississippi, sondern am oberbayerischen Chiemsee. Nicht in den 20er Jahren, sondern in den späten 80er und 90er Jahren.“ schreibt Mulo.
‚Stardust’ und ‚Summertime’ werden hier erwähnt, letzteres in einer ungewöhnlichen Interpretation mit einem spannenden Melody-Sax-Solo.
Jazzgeschichte und C Melody Sax
Rudy Wiedoeft (1893- 1940) war ein Melody-Sax-Pionier, von dem es noch Aufnahmen und Filmmaterial aus den 1910er Jahren gibt (s. Foto links). Er spielte ‚Close your eyes‘, das auch durch die Sängerin Ruth Etting (1896 – 1978) berühmt wurde. Mulo hat es als „nächtlicher krimineller Tango arrangiert“, da Ettings erster Ehemann den Klavier-Begleiter und Liebhaber seiner Frau erschoss. Andreas Hinterseher spielt hier recht einfühlsam Bandoneon.
Der Kornettist Bix Beiderbecke (1903 – 1931) verstand sich gut mit dem Melody-Saxofonisten Frank „Tram“ Trumbauer (1901 – 1956). Ihr Meisterwerk war ‚Singin‘ the Blues’. Mulo hat hierzu seinen „Pianisten Chris Gall gezwungen, den Bix Beiderbecke zu spielen“. Schon beim ECHOES OF SWING - Album "BIX - A Tribute to BIX“ übernahm Mulo Francel die Rolle von Frankie Trumbauer (nicht auf dieser CD).
Summertime aus der Ukraine?
Mulo schreibt, dass er nie ein Fan der Hits der Gershwin-Brüder war. Allerdings sind auf der CD einige davon zu finden. Summertime soll Gershwin nach dem Hören des ukrainischen Schlafliedes Oi Khodyt Son Kolo Vikon (s.u.) komponiert haben. Am Ende der CD 'Out of Nowhere' als ‚Iceland Vulcano Soundtrack‘. Mulo war auf Island und hat oben am Vulkan mit diesem Song ein Video gedreht. Auch Andreas Hinterseher war mit seiner Trompete dabei.
„Die Lava sprudelte aus dem Nichts wie die Töne aus dem Instrument eines glücklichen improvisierenden Jazzspielers.“ (s. Video)
Band
Manche Text-Stück-Bezüge im Booklet wirken arg konstruiert und nicht alle Stücke werden im Text erwähnt. Der Text selbst ist auch nur eine Geschichte, die aber durch die autobiographische Prägung und wegen der jazzhistorischen Informationen Interesse erweckt. Man kann die CD natürlich auch gut einfach so hören, denn die Band schafft es trotz der sehr unterschiedlichen Stücke einen erstaunlichen konstanten Sound zu generieren. Chris Gall prägt neben Mulo mit seinem fender rhodes piano in besonderer Weise den Sound, manchmal klingt es fast wie ein Vibraphon. Ähnliches gilt für den Gitarristen Philipp Schiepek, der mit seinen vielen Soli hervorsticht. Manchmal sind beide vom Klang her nur schwer zu unterscheiden. Bassist Didi Lowka und Drummer Sebastian Wolfgruber bleiben da eher am Rande. Andreas Hinterseher spielt in zwei Stücken Bandoneon bzw. Trompete.
Melody Sax
Das C-Melody Saxophon hat Adolphe Sax schon 1840 erfunden, am Anfang des 20. Jahrhunderts war es sehr beliebt. Viele Amateure, die andere Instrumente in C-Stimmung (z. B. Klavier, Flöte) spielten, konnten nun ihre alten Noten dafür verwenden. Die Produktion von C-Melody-Saxophonen erreichte 1923 ihren Höhepunkt in Elkhart, Indiana. Es wurde überwiegend von Laien gespielt und oft unprofessionell repariert, so dass es in der Fachwelt einen schlechter Ruf erhielt. Die Big Bands brauchten in der Sax-Section nur Alt-, Tenor- und Bariton-Instrumente. So wurde 1936 die Produktion eingestellt. Mulo Francel ist einer der wenigen bekannten Saxophonisten, die heute dieses Instrument spielen. Doch wer hört wirklich den Unterschied zwischen Tenor- und MelodySax?
Mulo Francel - The Melody Sax
Label: GLM
CD Bestellnummer: 11141027
Erscheinungstermin: 28.4.2023
... und hier der ukrainische 'Vorläufer' von Summertime: