Michael Wollny Trio: Nachtfahrten
Unheimliche Kunst der Reduktion
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker |
Michael Wollny gilt seit seinem Debütalbum Call It (em) aus dem Jahre 2005 national wie international als einer der besten jungen Jazzmusiker aus unserer Republik, bei jeder neuen Veröffentlichung erweist er sich nicht nur als hervorragender Techniker an den Tasten, sondern auch als ausgesprochen wandlungsfähiger Künstler, einem einfachen und eindeutigen stilistischen Label ist er nicht zuzuordnen. Mit der Ende 2015 erschienenen neuen Trio-CD nachtfahrten verhält es sich nicht anders, mit ihr verstört er in gewisser Weise eindrücklich seine immer größer werdende Fangemeinde. Trotz aller Verstörung: Nach dem ersten Hören dürfte diese noch größer werden.
Schon die ersten Takte des elegischen Opener questions in a world of blue, die Filmmusik des Komponisten Angelo Badalamenti zu David Lynchs „Twin Peaks“, führen in einen schwebenden, nachtwandlerischen Zustand und eröffnen fragend-suchend einen musikalischen Reigen von insgesamt 14 Tracks. Offenkundig ist bei diesen die Romantik der Bezugsrahmen, das Buch „Nachtmeerfahrten“ der Kulturwissenschaftlerin Simone Stölzel regte Wollny genau wie eine Peter Handke-Anthologie von Schauergeschichten und ein Besuch einer Ausstellung über Schwarze Romantik im Frankfurter Städel-Museum zu dieser zur „Nachtfahrt“ verkürzten Reise in die Tiefe der Seelen an. Die Stücke sind dabei nicht wirklich gothic, sie sind nicht vom tiefschwarzen Weltschmerz erfasst, sondern schaurig-schön mit vielen funkelnden Sternen, sie sind voller Preziosen im filigranen Zusammenspiel des jungen Pianisten mit dem Schweizer Kontrabassisten Christian Weber und dem alten Weggefährten Eric Schaefer an den Drums. Das Trio erweist sich als Idealbesetzung, wenn es darum geht, mit höchster Spielökonomie ein Maximum an Spannung und Atmosphäre zu generieren. Ob in der genannten Filmmusik zu Twin Peaks oder in marion, der Komposition von Bernard Herrmann für Hitchcocks Psycho, oder im solistischen verspielten metzengerstein, das sich im Titel auf Edgar Allan Poes früheste Kurzgeschichte bezieht: Ein konzeptioneller Rahmen wird entwickelt, in den die unterschiedlichsten musikalischen short cuts gestellt werden. Gemeinsam ist ihnen der Charakter von „Nocturnes“, von nächtlichen Stimmungen, die einen mysteriösen, durchweg introvertierten Gestus tragen. Die musikalischen Kostbarkeiten werden nicht überlang ausgeführt, enden oft abrupt, weil die Idee in der Kürze ausgereift ist und keiner weiteren Ausführung bedarf. Sie markieren in ihrer zerbrechlichen Reduktion einen trefflichen Übergang, ein fading out in die Stille der Nacht. Das romantische Mond-Motiv darf nicht fehlen, es kommt in white moon vor, einer Komposition von Wollnys Lehrer an der Musikhochschule in Würzburg und ist sicherlich als Reverenz an diesen gemeint, und in einer traumhaften Version des Kinderliedes au clair de la lune, die die Melodie kaum erkennen lässt.
Zu eher „jazztypischer“ Trio-Stilistik und entsprechendem virtuosen Pianospiel findet Michael Wollny mit seinen Mitstreitern in den meisten Stücken nur in Ansätzen – bis auf die energische motette no. 1. Die anderen Kompositionen sind in ihrer Spielweise, in ihren Klangfarben, Harmonien und Melodien nicht eindeutig und offensichtlich absichtsvoll dem zuzuordnen, was man gemeinhin unter Jazz versteht. Die Faszination der nachtfahrten rührt wahrscheinlich deshalb genau daher, dass eine gewisse Magie durch kunstvolle Reduktion auf überwiegend einfache Dreiklänge und einfache Dur-Akkorde und durch ein sehr subtiles Zusammenspiel im Trio erzeugt wird. Ein bisschen unheimlich wirkt dies stellenweise schon, aber es ist einfach unheimlich gut. Gespannt sein darf man auf die beiden Live-Konzerte des Trios in NRW:
30.04.16 beim Jazzfest in Bonn
02.05.16 beim Jazzfest in Gronau.
Michael Wollny Trio: nachtfahrten (ACT 9592-2 oder auf Vinyl ACT 9592-1)