Bild für Beitrag: Matthias Nadolny Quartet | S L O W – Jazz in der Entschleunigung
Bild für Beitrag: Matthias Nadolny Quartet | S L O W – Jazz in der Entschleunigung
Bild für Beitrag: Matthias Nadolny Quartet | S L O W – Jazz in der Entschleunigung
Bild für Beitrag: Matthias Nadolny Quartet | S L O W – Jazz in der Entschleunigung

Matthias Nadolny Quartet

S L O W – Jazz in der Entschleunigung

Dortmund, 17.05.2021
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Robert Eikelpoth, Gerhard Richter

Also, Charlie Parker könnte in dieser Band nicht mitspielen. Das würde die Atmosphäre stören, denn das Matthias Nadolny Quartet schafft mit dem neuen Album SLOW eine ganz anderes Jazzgefühl. ‚Entschleunigt‘ könnte man das im Sinne des Soziologen Hartmut Rosa nennen. Das Album enthält Live Aufnahmen aus der Jazzschmiede Düsseldorf aus dem Herbst 2020 und wird seinem Titel voll gerecht.

Slow - das heißt auch sich Zeit nehmen. Und genau das taten die Jazzer, denn die sechs Stücke sind fast alle zwischen 8 und 11 Minuten lang und trotz einiger kurzer Forti dominiert eine ruhig-gelassene Grundstimmung. Aber Zeit wofür? Das merkt man gleich beim Hören der CD: hier spielt man nicht nach Noten, hier geht es - in aller Ruhe - um Improvisation und Kommunikation. Die Harmonien des jeweiligen Stücks bilden nur den Ausgangspunkt für die gemeinsame Entwicklung der Musik. Zuhören und Kommunikation sind da besonders wichtig.

  • Die Band

lp

Matthias Nadolny spielt Tenor Sax, unterrichtet im Jazzstudiengang der Folkwang Universität der Künste in Essen und hat auch eine Künstlerkarriere absolviert. Dabei spielt er oft im Duo. So hat er mit dem Bassisten Gunnar Plümer das Album You'll never walk alone aufgenommen, mit dem er beim Jazzfest Berlin 1996 auftrat. Mit dem Pianisten Bob Degen hat er vor fünf Jahren You're My Everything veröffentlicht und dafür den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhalten.
Henning Berg spielt Posaune, auch mit ihm hat Nadolny schon oft zusammengespielt. Von 1982 bis 1996 war Berg Posaunist der WDR Big Band, seitdem kümmert er sich nur um eigene Projekte. Matthias Akeo Nowak ist Teil der Kölner Jazzszene und leitet die Band Koi Trio. Er hat auch bei Triosence, Paragon und im Quartett des belgischen Saxofonisten Daniel Daemen mitgespielt.
Peter Weiss ist als künstlerischer Leiter der berühmten Jazzschmiede ein Urgestein der Düsseldorfer Jazzszene. Er organisiert auch die Jazz im Hofgarten - Konzerte, hat sein eigenes Quintet und spielt in vielen anderen Bands mit.

  • Die CD SLOW

Ein Duo von Sax und Posaune, das gab es schon mal mit Benny Golson und Curtis Fuller, die bei ihren Auftritten meist abwechselnd solierten und gerne, wie z. B. bei Five Spot After Dark, unisono spielten, so dass die beiden Instrumente kaum zu unterscheiden waren. Aktuell bilden Nils Wogram (tb) und Hayden Chisholm (as) ein ähnliches Duo, auch sie sind mit Root 70 in der Jazz-Schmiede aufgetreten. Die Rollenverteilung im Duo bei ihnen ähnelt streckenweise der von Golson/Fuller.

lp

Matthias Nadolny und Henning Berg machen es anders. Sie sind aufeinander angewiesen, da sie kein Harmonie-Instrument wie Piano oder Gitarre im Rücken haben. So spielen sie kaum synchron, auch bei Soli kann sich der andere schnell mal ‚einmischen‘. Oft aber agieren sie parallel, einer spielt, der andere kommentiert; Übergänge sind fließend. Häufig spielen sie auch im Call and Response - Modus, in dem sie gegenseitig Ideen aufnehmen und weiterentwickeln.

Sehr interessant ist die Auswahl der Stücke.
For Harry Carney von Sy Johnson beginnt mit der bassline wie sie schon Charles Mingus 1975 in seinem letzten Quintett gespielt hat. Das klingt schon etwas ‚black and tan‘, zumindest wenn man weiß, dass Harrry Carney, der langjährige Bariton-Saxofonist von Duke Ellington, kurz vorher gestorben war. Mingus hatte da auch nur noch vier Jahre zu leben; schon lange vorher hatte er zum Tod von Lester Young Good Bye Pork Pie Hat geschrieben,
Dabei ist es ein schönes Stück, im Grunde ein Blues, der auf einer Phrase von 6 Tönen basiert, die Matthias Akeo Nowak durchgängig zupft. 11 Minuten live und slow, mit viel Zeit für langanhaltende Töne, für lange Soli und das oben beschriebene Zusammenspiel von Sax und Posaune. Nadolny spielt manchmal mit viel Luft, sehr melodisch, ähnlich wie Ben Webster oder aktuell Stephen Riley, aber in einem anderen Stil. Der Bass ist mit einem langen Solo dabei, Peter Weiss an den Drums reagiert sehr ideenreich auf das Spiel der Solisten.

lp

All dies gilt in gleichem Maße auch für die anderen fünf Stücke.
Der Klassiker Ask Me Now von Monk passt gut ins Konzept. Bass und Drums sind hier in engem Kontakt, wenn sie, ähnlich wie Posaune und Sax, im Call and Response - Modus spielen.
Nostalgie De La Boue ist eine Komposition von Steve Swallow aus seinemLive Album Always Pack Your Uniform on Top (2000). Der französische Titel (dt. Sehnsucht nach dem Schlamm) weist auf die Neigung gesellschaftlicher Aufsteiger hin, Kulturelemente verachteter Schichten in die Hochkultur zu integrieren, wie es z. B. mit dem Tango, aber auch mit dem Walzer geschehen ist. Auch hier ein ausgiebiges Bass Solo, ein Gruß an Steve Swallow?
Auch so ‚abgenudelte‘ Stücke wie Fall In Love Too Easily (u. a. von Chet Baker und Sinatra gecovert) und You're My Everything (u.a. Miles Davis und Nat King Cole) bekommen hier eine andere Klangfarbe und passen sich gut in den Kontext der CD ein.
Coming Home gefällt mir besonders gut. Matthias Nadolny hat es selbst komponiert. Das Stück bildet einen harmonischen Abschluss. Mich hats spontan an Carla Bleys The Lord is Listenin’ To Ya, Hallelujah! erinnert, denn es klingt feierlich-versöhnlich-abgeklärt.
Nicht unerwähnt bleiben soll das ansprechende CD Cover mit Gemälden zu holländischen Motiven von Jacques Mahy, das gut zum CD-Inhalt passt.
Eindrücke von der CD kann man schon bald überprüfen, wenn die Band am 22. Mai 20 Uhr wieder in der Jazz-Schmiede auftritt, diesmal mal aber nur online als Konzert Stream!

Vielen Dank an Philipp für seine Tipps!

http://www.matthiasnadolny.de/

Suche