Lili Grün: Alles ist Jazz
Künstlerprekariat in den 'goldenen 20ern'
TEXT: Heinz Schlinkert |
Dies ist kein Buch über Jazz, nicht wirklich. Aber indirekt hat’s schon damit zu tun.
‚Alles ist Jazz‘ heißt der Roman von Lili Grün, in dem es um die prekäre Lebenssituation von KünstlerInnen am Ende der Weimarer Republik geht."Jazz" ist hier der Name eines Kabaretts, das die Romanfigur Elli gemeinsam mit Freunden – alle ohne Engagement und Perspektive - gründet:
„So wollen wir heißen, so wollen wir sein. Es ist der Rhythmus, der aus unseren Maschinen entstanden ist, der Rhythmus, in dem wir armen Hascherln schlecht und recht groß geworden sind und gehen gelernt haben. Jazz, so wollen wir es ihnen sagen, so wollen wir endlich, endlich zu Worte kommen.“
Ein Lebensgefühl? Mehr, JAZZ steht auch für die existenzielle Erfahrung der Menschen in einer Welt, in der sich viele Dinge verändern und in der man glaubt, 'vor nichts mehr sicher zu sein' - so gesehen ein sehr aktueller Roman.
Der Roman beschreibt am Beispiel der jungen Schauspielerin Elli die prekäre Lebenslage vieler SchauspielerInnen. Denn die ‚Goldenen 20erJahre‘ waren nicht für alle golden, besonders seit Beginn der Weltwirtschaftskrise. Elli lebt in prekärenVerhältnissen, ohne soziale Absicherung, da ist manchmal auch Hungern angesagt.
„Man hat sich ein schlechtes Geburtsdatum ausgesucht. Seit man lebt, sind die Zeiten groß, aber unangenehm",
bringt es Elli gleich am Anfang des Romans auf den Punkt. Sie kommt 1930 als junge Schauspielerin von Wien nach Berlin. Doch da ist es auch nicht besser:
"In der Zeitung steht Arbeitslosigkeit in Amerika, Arbeitslosigkeit in der ganzen Welt. Es steht wenig Trost in den Zeitungen für solche Ellis, nichts steht da von Jugend, Anmut, Talent und Karrieremachen."
‚Alles ist Jazz’ wurde ursprünglich 1933 unter dem Titel ‚Herz über Bord‘ von der jungen Wiener Schriftstellerin Lili Gruen veröffentlicht. Der Roman ist teilweise autobiografisch, denn auch Lili Grün war Schauspielerin, ist von Wien nach Berlin gegangen und hat dort ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Vieles erinnert auch an Irmgard Keun, die 1932 mit ihrem Roman "Das kunstseidene Mädchen" bekannt wurde.
Lili Grün: Alles ist Jazz Kapitel 31 Narrator: Katharina Straßer
Den frühen Vertretern des deutschen Jazz wird es auch nicht besser ergangen sein.
Nicht alle waren so gefragt wie die Weintraubs Syncopators, über die erst vor kurzem ein Buch erschienen ist. Der deutsche Jazz zählte zur Unterhaltungsmusik, gespielt wurde in Cabarets, Ballsälen und Varietébühnen und er entsprach nicht unbedingt dem, was man in den USA darunter verstand.
Die Suche nach Engagements, die immer knapper wurden, das sich Durchhangeln von einem Engagement zum nächsten, all das war Alltag für die meisten Künstler. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten war es dann ganz vorbei mit dem Jazz in Deutschland. Als die Band von Stefan Weintraub 1933 in den Niederlanden gastierte und den Musikern dort erst richtig bewusst wurde, dass sie alle jüdischer Herkunft waren, entschlossen sie sich, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren und landeten nach einer weltweiten Irrfahrt in Australien.
Lili Grün, der Autorin des Romans, erging es wesentlich schlechter. An Tuberkulose erkrankt und ohne Geld konnte sie sich als Jüdin nicht ins Exil retten und wurde am 1. Juni 1942 in einem weißrussischen KZ ermordet.
Lili Grün "Alles ist Jazz", Hrsg. und mit einem Nachwort von Anke Heimberg AvivA Verlag Berlin 2009
ISBN 978-3-932338-36-6
215 Seiten, 18 Euro
Albrecht Dümling, Mein Gorilla hat ‘ne Villa im Zoo. Die Weintraubs Syncopators zwischen Berlin und Australien
Regensburg 2022 (ConBrio)
232 Seiten, 24,90 Euro
ISBN: 978-3-949425-03-5
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