Kurt Edelhagen 100
The Unreleased WDR Jazz Recordings
TEXT: Heinz Schlinkert |
Kurt Edelhagen wäre im letzten Jahr 100 Jahre alt geworden. Bei Recherchen in den ‚Katakomben‘ des Funkhauses, ca. 10 Meter unter der Bühne des WDR-Studios, hat man in dem umfangreichen „Kellermaterial“ bisher unveröffentlichte Stücke gefunden. Bernd Hoffmann, WDR-Jazz-Redakteur, hat einige ausgewählt und auf 3 CDs bzw. LPs herausgebracht. Am 26. März geht diese Kompilation in den Handel.
In einer Einführung im Booklet schreibt er, es gehe ihm dabei darum, „die Klanggeschichte der Edelhagen Big Band beim WDR Köln ... und die Reaktionen auf stilistische Veränderungen eines Jazzorchesters in den Zeiten von Cool Jazz, Hardbop und Free Jazz.“ darzustellen.
Kurt Edelhagen (KE) hatte es nicht leicht in einem Nachkriegsdeutschland, in dem Jazz nicht ernst genommen wurde. Konzerte wurden oft vom Jugendamt organisiert, da vor allem junge Leute sich für Jazz begeisterten. Die deutschen Jazzer kamen bei den GIs gut an, denn sie bewunderten die amerikanische Musik und waren auch bereit in den Offiziers-Clubs für wenig Geld, manchmal nur für ein Butterbrot, zu spielen. KE bekam so seine Chance, zum einen um dabei zu lernen, zum anderen um in dieser ‚Stunde Null‘ des deutschen Jazz eine wichtige Rolle einzunehmen.
Edelhagen verbindet sehr viel mit NRW. Er wurde in Herne geboren und hat die meisten Jahre seiner musikalischen Laufbahn beim WDR in Köln verbracht. Über ihn könnte man noch viel mehr schreiben, besser aber bei Wolfram Knauers bzw. Reiner Kobe (s.u.) nachschlagen.
Die 3 CDs bzw. LPs geben jeweils einen Überblick über eine Phase der Orchesterentwicklung. Fast alle Stücke wurden von dem Orchester Edelhagens gespielt, einige wenige vom KE Sextett, Nonett, von der KE All Star Band, vom Karl Drewo Sextett und vom Derek Humble Quartett.
- Disk I 1957-61
In Köln baute Edelhagen eine international besetzte Bigband auf. Das war damals fast ein Skandal. Noch in Nürnberg hatte der DBG-Ortsverband dagegen protestiert, dass KE‘s Band außer einem Musiker (und auch der war nur ein Zugereister!) nur aus Ortsfremden bestand. Doch in Köln war das leichter. So fanden sich in der neuen Band viele ausländische Namen: Charly Antolini (dr, CH), Karl Drewo (ts , A), Benny Bailey (tp, USA), Jimmy Deuchar (tp, UK), Dusko Goykovich (tp, Jugoslawien), Shake Keane (tp, St. Vincent Karibik).
Damit orientierte sich KE immer weniger am amerikanischen Big Band-Sound wie von Stan Kenton. Auf den Stücken der 1. CD spielen eine besondere Rolle: Derek Humble (as, UK), Jean-Louis Chautemps (ts, F), Francis Coppieters (p, B) und nicht zuletzt der österreichische Saxofonist Karl Drewo.
In Tubbes klingt das noch sehr nach klassischer Swing-Band, doch schon Mosquito´s Nightmare lässt neue melodische und rhythmische Impulse erkennen. 1959 nimmt KE zwei aktuelle Jazz Stücke auf, die sehr ‚cool‘ interpretiert werden: Remember Clifford,Bobby Golson‘s Nachruf auf den jungen Trompeter Clifford Brown, und Blues For Bohemia von den Adderley-Brüdern. Interessant ist auch Sweet Georgia Brown, der Oldie von 1925, den er hier mit dem damals noch nicht so bekannten Toots Thielemans spielt, mit Harp-Solo natürlich. Beide brachten ein Jahr später zusammen eine LP heraus.
Den Blues Sumphin von Dizzy Gillespie spielt 1961 das Karl Drewo Sextett im WDR-Studio. Wo war da Edelhagen? Sein Name wird nicht genannt.
- Disk II 1962-67
Kurt Edelhagen war dafür bekannt, dass er manchen Musiker feuerte, wenn er einen anderen besser fand. In dieser 2. Phase Mitte der 60er blieben aber bewährte Leute wie Karl Drewo und Derek Humble in der Band. Wichtige Neuzugänge waren der Schweizer Drummer Stuff Combe, der Frankfurter Bassist Peter Trunk und der amerikanische Posaunist
Jiggs Whigham
.
Francy Boland hat viele dieser Stücke arrangiert, war aber auch parallel in der eigenen Band sehr beschäftigt (s.u.). Blues Fifteen, 1963, ist ein 11-Minuten-Stück mit vielen Soli, u.a. von Gerd Dudek (ts).
Jiggs Whigham
ist mit markanten Soli immer wieder, auch in der 3. Phase, auf der Posaune zu hören, z. B. in 4 for Berlin. Gemäßigt funkig wird es bei Nat Adderley’s Work Song mit einem Alt-Sax-Solo von Derek Humble.
- Disk III 1968-74
Die 3. Phase scheint mir am interessantesten zu sein. 1968 begleitete die Band Hildegard Knef bei einem wichtigen Konzert. KE komponierte und spielte 1972 aber auch eine Stunde Begleitmusik für die Olympiade zum ,Einzug der Nationen‘. Darüber hinaus wurden neue Entwicklungen des Jazz in die reguläre Orchesterarbeit aufgenommen. Das sieht man schon an den Komponisten dieser Songs: Tadd Dameron, Joe Henderson, Jim Webb, Carla Bley, Albert Mangelsdorff, Kenny Wheeler. Und es wurde einfach mehr ausprobiert, die Big Band bekam einen neuen Sound. Dabei ist dann auch jede Menge internationale Jazz-Prominenz am Start.
Phily Joe Jones trommelt bei Mo‘ Joe, der Kanadier Maynard Ferguson ist mit einem Trompeten-Solo bei seiner Komposition Ole dabei. Der Jazz-Sänger Mark Murphy ist bei Mc Arthur Park zu hören. Diesen Song hatte Richard Harris erst 2 Jahre vorher sehr sentimental mit Begleitung eines Symphonieorchesters gesungen und sich damit in der TopTwenty platziert.
Ganz speziell ist Oni Puladi, eine Komposition von Carla Bley, die mich am Anfang an ein Alphorn erinnert; später übernimmt dann Peter Trunk mit einem langen Bass-Solo - monumental! Ein ganz besonderes Stück ist Triple Adventure, das mit Albert Mangelsdorff (tb), Wolfgang Schoof (tp) und Ronnie Stephenson (dr) und dem Orchester aufgenommen wurde. Bigband und Freee Jazz schließen sich eigentlich gegenseitig aus, ein sehr erstaunliches Stück.
Doch 1972 war es vorbei, der WDR kündigte Edelhagens Vertrag. Doch was nun kommt, könnte man als fulminanten Abschluss dieser Kompilation bezeichnen: die letzten beiden Stücke wurden 1 bzw. 2 Jahre nach der WDR-Zeit aufgenommen und heißen Black Eyed und Ow Dallab, Spielort: ‚studio unknown‘. Hier spielt der Trompeter Kenny Wheeler zusammen mit Gordon Beck am e-Piano. Gary Bogle (g) bzw. Rob Franken (b) kommen jeweils als Solisten dazu. Das klingt nun ganz anders als 1957, Einflüsse von Funk und Fusion-Jazz kann man heraushören.
Kurt Edelhagen war im letzten Jahr wegen seines 100jährigen Geburtstags ein großes Thema, doch er wurde auch vorher nicht vergessen. 2016 erinnerte
Jiggs Whigham
, Leiter des BundesJazzOrchesters mit dem Programm »Edelhagen Remembered« an ihn.
Doch KE’s Orchester war nicht das einzige in seiner Zeit. Fast zeitgleich gab es The Kenny Clarke-Francy Boland Big Band. Dort spielten viele Musiker aus Edelhagens Band: Humble, Bailey, Goykovich, Deuchar, Shihab, zeitweise Mangelsdorff und Schoof; 1971 auf Change of Scenes war auch Stan Getz dabei. Ob sie sich dort wohler gefühlt haben als bei dem strengen, perfektionistischen Edelhagen? Robert von Zahn schreibt jedenfalls in Jazz in Köln (S. 118f), diese Band hätte sich KE’s Orchester „musikalisch deutlich überlegen“ gezeigt.
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Kurt Edelhagen & His Orchestra: 100 - The Unreleased WDR Jazz Recordings
Label: Jazzline, 1957-1974
Erscheinungstermin: 26.3.2021
3 CDs 22,99 € Bestellnummer: 10406804
3 LPs 34,99 € Bestellnummer: 10406803
Infos:
- Reiner Kobe: Big Bands in NRW: Edelhagen, Clarke-Boland und JugendJazzOrchester. In: Robert von Zahn (Hg.): Jazz in Nordrhein-Westfalen seit 1946. Köln 1999, S. 158
- DER SPIEGEL 22.10.1952 "Präzis wie die Preußen"
- Infos unter King Georg
Kurt Edelhagen and His Orchestra in Prag 1965: