Krunk
Armenian Secular Music
TEXT: Stefan Pieper |
Gerade in einer Zeit, in der Mauern höher werden und Gräben tiefer, beweisen Alben wie diese das Gegenteil: Musik und die dahinter stehende Empfindung kennt keine Grenzen. Das Ensemble Lignum Vitae unter der Leitung der armenischen Geigerin Lilit Tonoyan präsentiert mit "Armenian Secular Music" liefert ein Beispiel dafür, wie kulturelle Brücken gebaut werden können. Tonoyan erforscht seit über 15 Jahre die Musiktradition ihrer Heimat und hat im Duisburger Duduk-Spieler in André Meisner den idealen Partner gefunden. Dabei sind außerdem David Melkonyan am Cello und der Perkussionist Giuseppe Mautone.
Besonders neugierig war ich natürlich auf André Meisners Duduk-Spiel – aber dieser Musiker agiert nie aufdringlich, sondern lässt sein Spiel mit nobler Zurückhaltung zwischen Jazz-Sensibilität und armenischer Tradition oszillieren. Das erzeugt in den 23 sehr komprimierten Stücken einen Dialog mit dem Violinspiel von Lilit Tonoyan – und der ist voll verhangender Melancholie und mitunter ekstatischer Intensität.
Tradition, die am Jazz sehr nah dran ist...
Das titelgebende Stück "Krunk" (Der Kranich) symbolisiert die universelle Kraft dieser Musik. Was als traditionelles Pilgerlied beginnt, wird in den Händen des Ensembles zu einer zeitlosen Meditation über Sehnsucht und Heimat. Auch David Melkonyan erweist sich am Cello als sensibler Klangarchitekt, der mit warmen Basstönen und filigranen Oberstimmen das harmonische Fundament schafft. Giuseppe Mautone bereichert als versierter Perkussionist das Ensemble nicht nur mit vitalem rhetorischen Puls, sondern erzeugt auf traditionellen und modernen Schlaginstrumenten eine zusätzliche klangliche Dimension. Seine subtile Art, Akzente zu setzen, verleiht den Stücken eine natürliche Beweglichkeit – und damit ist diese traditionell überlieferte Musik auch immer am Jazz ganz nah dran.
Von kontemplativen Naturbetrachtungen bis zu mitreißenden Tanzrhythmen spannt sich der Bogen. Die modalen Strukturen und mikrotonalen Nuancen der armenischen Tradition bleiben erhalten, während sich gleichzeitig überraschende Parallelen zur europäischen Kunstmusik und zeitgenössischen Improvisation auftun. "Armenian Secular Music" ist mehr als eine Dokumentation traditioneller Musik – es ist ein Statement dafür, wie Tradition und Innovation, Ost und West, Komposition und Improvisation nicht nur zusammenfinden können, sondern zusammen gehören. In einer Welt der wachsenden Abgrenzung verschafft sich hier wieder die universellste aller Sprachen Gehör.