Kirill Timofeev & Evgeny Sinaiski
Lost in Style
TEXT: Guido Krawinkel |
Ist nicht eigentlich der Jazz die wahre klassische Musik im 20. Jahrhundert? Und haben nicht alle berühmten Jazzlegenden die Errungenschaften der Kunstmusik im 20. Jahrhundert aufgegriffen? Das Duo Timofeev macht sich gar keinen Kopf über solche Fragen, sondern stürzt sich einfach in den wuchernden Reichtum musikalischer Stile hinein, denn das macht dem Cellisten Kirill Timofeev, dem Pianisten Evgeny Sinaisky und seinem Publikum am meisten Spaß. Unser Gastautor Guido Krawinkel rezensiert das neue Album, welches nach zahllosen, gefeierten Konzertauftritten längst überfällig war...
Viele Komponisten waren noch nie zimperlich, wenn es darum geht, bei anderen abzukupfern oder stilistische Anleihen zu nehmen. Das Spiel mit Stilen und Epochen gehört zum Komponieren genauso dazu wie die Suche nach einem eigenen Weg. Und was dabei herauskommen kann, zeigt die Einspielung des Cellisten Kirill Timofeev und des Pianisten Evgeny Sinaisky sehr eindrucksvoll. Igor Strawinskys Suite Italienne strotzt nur so vor Anspielungen auf historische Formen und stilistische Eigenheiten, in diesem Fall des Barock. Timofeew und Sinaisky zelebrieren das mit großartiger Verve, nicht nur in der jazzigen Tarantella oder dem fetzigen Finale. Alexander Tcherepnins „Songs and Dances“ op. 84 sind dagegen ein bisschen was für’s Herz: elegisch, lyrisch, mit viel Gefühl und Emphase gespielt.
Jazzige Rhythmen und klassische Formen at it`s best...
Eine echte Entdeckung sind die Stücke von Sulkhan Tsinsadze, unglaublich seelenvoll, hier scheint zuweilen die ganze, durchaus leidvolle Geschichte des georgischen Volkes aus der Musik zu sprechen. Gleichzeitig ist sie von unglaublicher lyrischer Wärme, was nicht zuletzt an der wirklich tiefempfunden, direkt ins Mark treffenden Interpretation durch Timofeev und Sinaisky liegt. Selten hat man ein Cello wehmütiger singen gehört. Aber auch die spielerische Volkstümliche Seite der georgischen Musik kommt in den Stücken Tsinsadzes zum Tragen und da lassen die beiden Musiker ihrem musikantischen Impetus durchaus mal freien Lauf.
Das tun sie zweifelsohne auch in den abschließenden drei Stücken von Nikolai Kapustin. Dieser immer noch sträflich unterschätzte Komponist hat mit jazzigen Mitteln klassische Musik komponiert, was ihn letztendlich in beiden Welten zu einem stilistischen Außenseiter hat werden lassen. Kapustin schöpft hier aus dem Vollen: jazzige Rhythmen und klassische Formen, beides at its best. Das kann man auch über Timofeew und Sinaisky sagen, die hier überaus elegant spielen, aber auch fetzen, was das Zeug hält - und durchaus auch mit dem Pathos nicht sparen. Kapustins Musik kann es zweifellos vertragen.
Album (digital release)
Kirill Timofeev & Evengy Sinaisky: Lost in Style
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