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Kind

Count

Münster, 22.08.2025

Jazz als verrückter Spielplatz für Erwachsene – ein solches Etikett markiert so ziemlich das Gegenteil von gepflegter, der Konvention huldigender Jazzkonversation für ein ergrautes Establishment. Man kann davon ausgehen, dass der Bandname KIND für ein Münsteraner Sextett von solch programmatisch-subversivem Gedankengut überlagert war. Denn schon beim ersten Hören des neuen Albums, ebenso bei fantastischen Konzerteindrücken in Moers und Münster war offenkundig: Das hier wirkt wie ein glücklicher Unfall zwischen Verspieltheit und Virtuosität – aber was sechs der mit Abstand erfahrensten und kreativsten Musiker aus NRW hier betreiben, ist alles andere als naiv, sondern ehrliche, authentische Musik, die in ihrer Direktheit wie eine Frischzellenkur daherkommt, die alternativlos erscheint.

„Count" eröffnet mit „12 hands – no brain", ein Titel, der auf der programmatischen Linie voll draufbleibt. Hier sind Hände wichtiger als Hirn, Intuition wichtiger als Intellekt. Bruna Cabral hämmert auf ihr Schlagzeug ein, als müsste sie Mauern einreißen, was sie durch sämtliche Stücke mit rockiger Schlagkraft durchhält. Shannon Barnett bläst ihre Posaune mit der Dringlichkeit einer Überlebenskünstlerin. Jan Klare selbst wechselt zwischen Saxofon und Fagott wie ein Kind zwischen Spielzeugen – nur dass seine Spielsachen Lärm machen, der unter die Haut geht, der nur so vor Reife, Erfahrung und Überzeugungskraft strotzt.

Kontrollierte Anarchie

Auch die weiteren Stücke zeigen: Das ist Jazz als Experimentallabor, als Forschungsstation. Aber ohne sich etwas in intellektuellen Labyrinthen zu verzetteln, denn das hier geht in fokussierter Klarheit voll auf die Zwölf. Dabei bietet KIND eine gesunde Bandbreite zwischen artifiziellem Noise und detailverliebter Kammerjazz-Anmutung, zwischen punkigem Selbstbewusstsein und lyrischen Einwürfen. Emily Wittbrodt verwandelt ihr Cello in ein Chamäleon der Stimmungen – mal sanft seufzend, dann wieder kratzig protestierend, immer aber mit reflektiertem Kalkül hinter der scheinbaren Spontaneität. Shabnam Parvaresh navigiert mit ihrer Klarinette zwischen lyrischen Kommentaren und schrillen Widersprüchen, während David Helm als heimliches Rückgrat dieser kontrollierten Anarchie die Fäden zusammenhält.

Shannon Barnetts Posaune ist wieder mal überirdisch – und pumpt ihre Energie in die Arrangements, auch sie artikuliert sich als Sprecherin einer Jazz-Haltung, die keine Lust mehr hat auf höfliche Konversation. Und immer wieder Bruna Cabral: Jeder Rhythmuswechsel ist ein Ereignis, jeder Übergang eine kleine Revolution, sodass es selbst Jazzpolizisten von den Stühlen reißen muss. Und ja – diese verspielte, zugleich kontrollierte, messerscharf ausformulierte Anarchie kommt nicht etwa aus Brooklyn, sondern aus Münster – auch das ist eine kraftvolle Ansage, die aufhorchen lässt.

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