Jo Beyer
Live in Bangalore
TEXT: Stefan Pieper |
Es sprudelt los. Verspielt, melodiös, quirlig – Jo Beyer und seine Leute bauen keine Themen, sie bauen Texturen. Und dann sind plötzlich alle in einem improvisatorischen Wettlauf unterwegs, der sich selbst trägt und auf die Überholspur gerät. Eine Taxifahrt durchs hektische Verkehrsgewusel, einer exotischen Millionenmetropole. Und die stürmt dann auch gerne mal gen Himmel. Aufgenommen wurde das Ganze im Windmills in Bangalore, im Januar 2025, am Ende einer Tour durch Indien. Berthold Records bringt es jetzt heraus, am 21. November, sowohl als LP als auch als CD. Es sind fünf Stücke, die schon als Studiofassungen existieren, hier aber zum ersten Mal richtig atmen können.
Sven Decker am Saxophon spielt elegant und gefühlvoll. Er favorisiert kurze, formelhafte Motive und lässt viel Raum dazwischen. Oft steht nur das Saxophon gegen das Schlagzeug, und dazwischen liegt viel Luftigkeit, viel Luft zum Atmen. Das Ganze bewegt sich kurz vorm Überkochen, behält aber die Kontrolle. Auch an einem Abend in Indien bleibt es kultiviertes Powerplay. Andreas Wahl an der E-Gitarre liefert den Coolness-Faktor. Er bekommt seine großen Soli auf dieser vorwärtstreibenden Ideenreise, und er nutzt sie. Die elektrische Gitarre im Jazz gilt für manche immer noch als verdächtig, aber Wahl scheint das nicht zu kümmern. Er spielt, als hätte er nie gehört, dass das problematisch sein könnte. Felix Elsner am Piano sorgt dafür, dass das Ganze nicht auseinanderfliegt. Seine Aufgabe ist nicht spektakulär, aber unverzichtbar. Während die anderen ihre Ausflüge machen, hält er den harmonischen Raum offen und bewohnbar. Jo Beyer aus Nordrhein-Westfalen nimmt sich der Schlagzeuge beherzt und bravourös an. All dies perkussiv und rhythmisch zu befeuern, ist für ihn schon eine große Aufgabe, und er bewältigt sie mit Nachdruck.
Man hat sich reingehört in den Subkontinent
Was hier greift, ist Bandchemie. Oder nennen wir es Bandmechanik, weil auch etwas Solides, Routiniertes daran haftet. Die Band baut ein Maximum an Improvisierlust auf minimalistischen Riffs auf, und das ist über weite Strecken die Marschrichtung. Immer wieder mündet das ins Tutti, immer wieder gibt es Unisono-Wendungen, die an die Linienführung indischer Musik erinnern. Klar, man hat sich reingehört in den Subkontinent.
Da sind diese Unisonoparts in verfrickelten Wasweisichviel-Achtel- oder sonstwas-Takten, die in ihrer sprechenden Artikulation auch irgendwelchen Vorbildern in der indischen Musik standhalten könnten. Aber das funktioniert niemals als exotisches Souvenir, sondern als selbstverständliche Regung. Die Band spielt nicht über Indien, sie spielt in Indien und lässt sich auf den Ort ein. Die Titel klingen dabei wie Tourtagebuch-Einträge nach zu vielen Stunden im Van: „The Bullshit Talker", „Instastory Hashtag Tourlife", „Have You Ever Been On A Bobsleigh Track?". Aber die Musik dahinter meint es ernst. Der Gestus dabei ist überhaupt nicht exotisch. Das ist keine Weltmusik-Übung, das ist eine Band, die woanders spielt und trotzdem sie selbst bleibt.
Dass Musiker aus Nordrhein-Westfalen mittlerweile in Asien touren, ist kein Einzelfall mehr. Beyers Quartett zeigt, dass dies nicht beim kultureller Export stehen bleibt, sondern zur Begegnung auf Augenhöhe wird. Man spielt, man hört zu, man lässt sich ein, und am Ende entsteht etwas, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Die Aufnahme selbst klingt nach Club: druckvoll, räumlich, lebendig. Man hört die Reaktionen im Raum, man hört den Atem der Musiker, man hört, wie vier Leute miteinander reden und sich gegenseitig zuhören. Es gibt keine nachträgliche Kosmetik, kein Glattbügeln im Studio. Live heißt hier wirklich live, mit allem, was dazugehört.
Für wen ist das gedacht? Für alle, die verstehen, dass Improvisation keine Einzelleistung ist, sondern Konversation. Dass eine Band, die unterwegs ist und Risiken eingeht, am Ende mehr zu sagen hat als im sicheren Proberaum. Dass Musik im Moment entsteht, nicht nach Plan, und dass dieser Moment manchmal auch weit weg von hier im südindischen Bangalore stattfindet.
