Bild für Beitrag: JAZZ in Österreich | JAZZ BIGBAND GRAZ und Marie Spaemann + Christian Bakanic
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JAZZ in Österreich

JAZZ BIGBAND GRAZ und Marie Spaemann + Christian Bakanic

Graz, 18.11.2020
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Peter Purgar, Julia Wesely

Der Jazz hatte es lange Zeit nicht leicht in Österreich. Deshalb ging Hans Koller 1950 nach Deutschland, Joe Zawinul 10 Jahre später in die USA. Allerdings gings auch schon mal andersherum. Art Farmer zog 1968 nach Wien, wo er 10 Jahre lang blieb und unter anderem mit der Kenny Clarke/Francy Boland Big Band und dem Fritz Pauer Trio spielte. Der österreichische Saxofonist Harry Sokal gehörte später zu Farmers Band, und gab 2016 mit „I remember Art“ einen Rückblick auf diese Zeit.

Das 1977 von Mathias Rüegg, Wolfgang Puschnig und Woody Schabata in Wien gegründete Vienna Art Orchestra war lange Zeit führend. Nach der Auflösung 2010 hat die Jazz Big Band Graz (JBBG) diese Rolle übernommen. Seit 2003 unter der Leitung von Heinrich von Kalnein und Horst Michael Schaffer hat sie den klassischen Big-Band-Sound weiterentwickelt.

Denn inzwischen hat sich einiges in der österreichischen Jazzszene getan. Wien und Graz sind international bekannte Jazzadressen. Thomas Gansch ist als Trompeter von Mnozil Brass berühmt geworden und es gibt viele weitere Jazz-Musiker in Österreich. Einen Überblick gibt Michael Ternai in einem Text bei www.musicaustria.at.

Als Beispiele für aktuellen österreichischen Jazz stelle ich nun zwei sehr unterschiedliche Gruppen vor, die gerade neue CDs veröffentlichen:

  • JAZZ BIGBAND GRAZ - JBBG Smål - „Times of Change” Vol.1

Dass die Zeiten sich ändern, hatte schon 1964 Bob Dylan mit Erfolg angemerkt und auch der Wind of Change der Scorpions war 1990 eine gute Prognose. Ebenso passt Times of Change des JBBG gut in unsere bewegten Zeiten, obwohl das so ursprünglich nicht intendiert war.

Die JBBG Smål GRAN RISERVA ist die Kerntruppe des JBBG. Sie besteht aus Horst-Michael Schaffer (Vocals, Trumpet, Flügelhorn), Heinrich von Kalnein (Tenor- & Soprano Saxophone, Flute) und Uli Rennert (Keyboards, Lapsteel Guitar); alle haben auch komponiert. Dazu gekommen sind Thomas Wilding - Electric Bass und Tom Stabler – Drums. Guests:Nguyên Lê - Electric Guitar; Wolfgang Puschnig - Alto Saxophone, Flute. Mit Nguyên Lê hat die Bigband schon 2012 die „Urban Folk Tales“ aufgenommen.

Die Stücke der CD sind sehr unterschiedlich und bilden eine ‚Vielfalt in der Einheit‘. Bei Catalania entwickelt Horst-Michael Schaffer auf dem Flügelhorn aus einem ruhigen Intro heraus eine typisch spanische Melodie, das Concierto de Aranjuez klingt manchmal an. Und wenn man gerade denkt, es wäre nun Schluss, setzt Wolfgang Puschnig (?) mit einem langen Sax-Solo ein, das zusammen mit den Drums ein rhythmisches Crescendo aufbaut, in das dann Nguyên Lê mit einem furiosen Gitarren-Solo einmündet. Hier sind wir im Flamenco-Jazz angekommen. 10 Minuten dauert das und erst gegen Ende kommen alle langsam wieder runter zum Ausgangspunkt. Ein wunderschönes Stück!

Still ist wirklich sehr ruhig, aber nuancenreich. Auch View No.5 beginnt ruhig, die ‚kalte‘ Trompete von Horst-Michael Schaffer erinnert an frühen Fusion-Jazz, Miles Davis auf In a Silent Way zum Beispiel.

Inside Out – genau darum geht’s im Moment in der Krise. Wie auch das Video (s.u.) zeigt, singt Horst-Michael Schaffer fast durchgängig mit einer markanten Stimme, die mich an Greg Lake erinnert:

„When there’s a time of sadness of lonely tunes …
And every single word feels to intent to fall …”

Inside Out stellt die Verbindung her zum Albumtitel Times of Change, auch wenn die Band bei der Aufnahme noch nicht wissen konnte, wie gut dieser zur Corona-Krise passt. Das sehr weiche TenorSax von Heinrich von Kalnein begleitet, kommentiert. In der mittleren Phase des Sprechgesangs baut der Groove eine rhythmische Spannung auf, die Nguyên Lê mit einem Solo aufgreift und später ausklingen lässt. Am Anfang klingt es traurig, sehnsuchtsvoll, am Ende eher zuversichtlich in einem Sound, der mich wiederum an die alte Jazz-Rock-Formation Chicago erinnert. Bravo!

Ein rhythmisch immer gleich gespielter Ton, ähnlich einem Morse-Apparat, durchzieht The Code von Heinrich von Kalnein, über den nrwjazz im März berichtete. Dies ist ein Bläser-Stück. Warme Melodien und ruhige Soli, aber auch ein rühriges Schlagzeug von Tom Stabler.

In Push herrscht wieder der klassische Bigband-Sound, sehr fetzig, dazu ein langes Sax-Solo von Wolfgang Puschnig. Ein guter Abschluss und insgesamt ein sehr interessantes Album, je öfter man es hört, desto besser findet man es. Es gibt wohl noch weitere Aufnahmen aus der Produktion, die im nächsten Jahr als Vol 2 veröffentlicht werden sollen. Toller Sound! Zugabe!

JAZZ BIGBAND GRAZ - JBBG Smål - „Times of Change” Vol.1

LC 27958 NATANGO MUSIC NAT 47621 (CD / LP / Download)
Vertrieb Galileo-MC
Veröffentlichung: 03. November 2020

  • Marie Spaemann I Christian Bakanic – Metamorphosis

Eine ganz andere Musik macht das Duo Marie Spaemann (Cello, voc) und Christian Bakanic (Akkordeon). Diese ungewöhnliche Konstellation von Instrumenten schafft neue Klänge, in die man sich erst einmal hereinhören muss, ähnlich wie bei dem Flöten-Gitarren-Duo von Isabelle Bodenseh und Lorenzo Petrocca.

Seit rund drei Jahren spielen Marie Spaemann und Christian Bakanic zusammen, ihr Debütalbum Metamorphosis erscheint am 20. November.
Um sich zu orientieren denkt man vielleicht an Richard Galliano, und von da aus ist es nicht weit bis zu Piazzolla. So gehört auch der Tango zum Repertoire des Duos mit Milonga Lenta und Pentango, einem Tango im 5/4-Takt. Der Butter Tango ist gar kein Tango, der Titel steht nur symbolisch für die südamerikanische Leidenschaft und Freiheitsliebe. „Der Song kreist in seiner Essenz um einen Menschen, der seine innere Freiheit vergisst“, erklärt Marie Spaemann.

Das Album beginnt mit Oscar's Dream. Hier wird sofort eine Art Rollenverteilung der Instrumente deutlich: rhythmisch-kantige Motive des Akkordeons treffen auf lange Cello-Töne. Zusammen mit der Stimme entsteht so eine träumerische Atmosphäre. „Das Stück vertont ein imaginäres Abenteuer“, erklärt Bakanic, „ich habe meinem zweijährigen Sohn beim Schlafen zugeschaut und mir vorgestellt, wie er träumt, auf einem Adler durch die Lüfte zu segeln.“

Schon Oscar Pettiford, Charles Mingus und Ron Carter haben Cello gespielt, aber das war etwas ganz anderes. Bei Marie Spaemann handelt es sich um Kammermusik, hier hat das Cello einen viel größeren Stellenwert und ist melodisch im Vordergrund.
Fast alle Titel hat sie selbst komponiert. Tango und Jazz, aber auch Volksmusik, verbinden sich und es entsteht etwas Neues; genau diese Methamorphose gab dem Album den Titel. Metamorphosis, heißt auch ein Stück, dessen englischer Text leider nicht gut verständlich ist. Es beginnt sehr rhythmisch und mit einer verbalen Erklärung. Die Leitzeile wird für meinen Geschmack etwas zu oft wiederholt. Andere Stücke gefallen mir besser. Z. B. Mellow D's, das letzte Stück des Albums, verbindet das traditionelle arabische Liebeslied Chehilet Laayani und das israelische Friedens-Volkslied Shalom Chaverim. Ähnliches haben in den 80ern, etwas emphatischer, Maria Farantouri und Zülfü Livaneli gemacht. Das Lied steht für die völkerverbindende Haltung der Musiker und bildet einen sehnsuchts- und hoffnungsvollen Ausklang.

Marie Spaemann, Christian Bakanic – Metamorphosis
Preiser Records PR91495 / 717281914956 / Vertrieb: NAXOS
Veröffentlichung: 20. November 2020

Ein anderer Vertreter des modernen österreichischen Jazz ist Emiliano Sampiaio, über dessen ‚Music For Large Ensembles‘ wir im Juni berichteten. Mit seinem Meretrio wird er im Januar mit zwei brasilianischen Musikern das neue Album Choros herausbringen. Wir werden berichten.

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