Bild für Beitrag: Jazz à la flute: Isabelle Bodenseh und Lorenzo Petrocca | ESSENZA
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Jazz à la flute: Isabelle Bodenseh und Lorenzo Petrocca

ESSENZA

Bochum, 14.09.2020
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: s.u.

Flöten im Jazz hört man nicht oft, schon gar nicht im Duo mit einer Gitarre. Die am 4. September erschienene CD ESSENZA gibt dazu Gelegenheit. Einen guten Eindruck bekommt man, wenn man sich vor Einlegen der CD das Official Music Video Jazz à la Flute - Essenza ansieht. Hier fällt der Blick auf die Bass-Querflöte, die man nicht alle Tage sieht. Wenn man genauer hinsieht, bemerkt man auch wie intensiv das Duo über Blicke kommuniziert. Die Musik ist kammermusikalisch mit brasilianischer Orientierung angelegt und wirkt insgesamt besinnlich, ruhig, kultiviert, beschwingt.

Flöten kamen im Jazz wegen ihrer geringen Lautstärke erst zur Geltung, als man sie verstärken konnte. Auch dann waren – und sind - sie oft nur das Zweitinstrument von Saxofonisten. Das wurde erst mit Herbie Mann, Eric Dolphy und Emil Mangelsdorff anders. In NRW denkt man bei Jazzflöte vielleicht eher an Wildes Holz. Isabelle Bodenseh aber kommt aus Süddeutschland, wo sie 2016 „Jazz à la flute“ gründete. Mit gut 60 Konzerten in zwei Jahren spielt sie seither im Duo mit Lorenzo Petrocca und im Quartett mit Orgel, Schlagzeug und Gitarre in Jazzclubs in Deutschland, in der Schweiz und in Frankreich. Bekannt ist sie für ihren warmen Ton und für viele Blastechniken. Leider kann man dem Booklet nicht entnehmen, welche Flöten gespielt werden.

Lorenzo Petrocca, als Gastarbeiterkind in Italien geboren und seit seinem 16. Lebensjahr in Deutschland, leitet aktuell das Lorenzo Petrocca Organ sowie das Lorenzo Petrocca Quartet. Er spielt Akustik-Gitarre; „sonst in solchen Konstellationen auf die Alternative zwischen Rhythmusknecht oder Alleinspieler verdonnert“ (booklet) geht er mit vielen Soli weit über die Begleitung hinaus und agiert im stetigen Wechsel von Begleitung, Solo und Call-Response-Passagen mit der Flöte. Sein Vorbild sind wohl die brasilianischen Gitarristen.

Die CD beginnt mit dem brasilianischen Incompatibilidade de Genios von Joao Bosco. Diese ‚Unvereinbarkeit der Genies‘ soll doch wohl nicht für das Duo gelten, auch wenn der - leider nicht gesungene – Text mit „Ai, quero me separar“ endet. Das wäre schade, aber natürlich geht es weiter mit 9 anderen Stücken, von denen die meisten zum klassischen Jazz-Bereich gehören: Lonnie's Lament von Coltrane, Captain Marvel von Chick Chorea, Time After Time von Steyne/Cahn, Waltz for Debby von Bill Evans, Birks‘ Works von Dizzy Gillespie.

Captain Marvel von Chick Chorea (von der berühmten Return to Forever-LP) wurde schon von Stan Getz interpretiert. Hier nun eine ganz andere Version mit einer mindestens genauso freien Melodiegestaltung im mittleren Teil, bei dem die Instrumente auch im Call-Response-Modus agieren.

Birks‘ Works gefällt mir am besten, es klingt natürlich ganz anders als Dizzy Gillespies‘ Band, die Version von Kenny Burrell kommt ihr schon näher. Ein agiles Flöten-Solo mit Überblastechnik erinnert an Herbie Mann oder auch an Ian Anderson.

In dem breit gefächerten Repertoire des Duos gibt es auch Überraschungen:

Der napoletanische Evergreen Tu si ‘na cosa grande kommt hier zu Ehren. Die Leidenschaft des Gesangs von Domenico Modugno weicht hier einer eher lässig-melancholischen Eleganz, die dem Stück mit getragenen Soli einen eigenen Stempel aufdrückt.

Tici Tico no Fuba ist ein Ohrwurm, von dem viele nicht wissen, woher er kommt. Zequinha de Abreu schrieb ihn1917 in Brasilien. Nach der Vorstellung der Melodie geht die Gitarre in ein Solo über, während die Flöte den Bass-Part übernimmt um dann wieder recht fröhlich zur Melodie zurückzukehren.

Essenza wurde von Lorenzo Petrocca komponiert, ein ruhiges Stück mit brasilianischem Flair, das exemplarisch für die Musik des Duos stehen könnte.

Der Titel der CD verrät einen hohen Anspruch: ESSENZA. Wenn man diesen Begriff als ‚Wesen eines Dinges‘ versteht, was macht die ‚Essenz‘ in der Musik dann aus? Die Melodie, die Akkordfolge, Sound oder Klang, die Rhythmik, die Stimmung? Wäre eine Improvisation dann nicht eher störend? Doch im Jazz sind, z. B. von Charlie Parker, oft Schlager so interpretiert worden, dass sie kaum wiederzuerkennen waren, wo blieb da die Essenz? Ich glaube in jeder Interpretation entsteht etwas Neues, eine neue Essenz, die sich nicht an anderen Versionen messen lässt. Oder weist der CD-Titel nur auf das gleichnamige Stück hin?

Bereichernd wäre es jedenfalls, wenn zu einigen Stücken auch Texte gesungen würden, vor allem zu den brasilianischen Liedern. In solch einem Trio gäbe es gerade bei Live-Konzerten - auch für die Flötistin nicht ganz unwichtig - mehr Luft und etwas mehr Abwechslung für die Zuhörer.

EC 587-2 / GLM / 4014063158727
Vertrieb: Edel 04. September 2020

Fotos:
https://www.uk-promotion.de/portfolio-item/jazz-a-la-flute-essenza-v-oe-04-september-2020-glm-edel/

Konzerte in NRW:
14.10.2020 Essen, Katakombentheater
29.10.2020 Monheim, Bürgerhaus
11.12.2020 Gevelsberg, Jazzclub im Zentrum

https://www.isabellebodenseh.de/duo-essenza/

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