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Ilona Haberkamp

Plötzlich Hip(p)

Darmstadt, 01.01.2023
TEXT: Heinz Schlinkert | 

Das ist so ein Buch, das man nur ungern aus der Hand legt, weil es so interessant, aber auch so gut geschrieben und illustriert ist. Ilona Haberkamp hat sich schon seit langem mit der deutschen Nachkriegspianistin Jutta Hipp beschäftigt und nun eine Monografie vorgelegt, die Mitte Dezember im WOLKE Verlag erschienen ist.

Das Buch beginnt mit einem Prolog: Die Autorin besuchte 1986 Jutta Hipp zusammen mit einer Freundin in New York. Fotos (s. oben rechts) dokumentieren diese interessante Begegnung. Hier wird nicht nüchtern eine Biografie bilanziert, vielmehr kann der Leser über einen empathischen Zugang einen persönlichen Bezug zu Jutta Hipp und zur Autorin finden, der die weitere Lektüre begleitet.
Zudem werden hier nicht persönliche Daten zu Herkunft, Ausbildung und Veröffentlichungen aneinandergereiht. Den historischen Hintergrund von Hipps bewegter Lebensgeschichte bildet die politische Entwicklung ihrer Zeit, vor allem zwischen 1930 und 1970. Es geht also nicht nur um Jazz in Deutschland und den USA, es geht auch um Zeitgeschichte und ganz speziell um das Thema 'Frauen im Jazz'.

  • Jutta Hipp

Der Name Jutta Hipp war lange Zeit auch in der Jazzszene kaum bekannt, obwohl er für die deutsche Jazzgeschichte wichtig ist. Hipp wurde 1925 in Leipzig geboren und hat dort Kunst studiert in einer Zeit, als moderne Kunst von den Nationalsozialisten verboten war. Ilona Haberkamp beschreibt sehr anschaulich, wie Jutta Hipp nach einer klassischen Klavierausbildung als Kind autodidaktisch Jazzpiano lernte und in der Nazizeit trotz aller Risiken Jazz spielte. Man erfährt dabei, wie jazzige Stücke mit Zitaten aus anderen Texten getarnt wurden, aber auch wie Hipp den jüngeren Ralf Kühn mit der Musik von Benny Goodman bekannt machte. Auch die ambivalente Erfahrung, von amerikanischen Bombenabwürfen bedroht zu sein und gleichzeitig den geliebten amerikanischen Jazz zu hören, gehört dazu:

"Ich erinnere mich an Nächte, wo wir nicht in die Luftschutzkeller gingen, weil wir Platten hörten. Wir hatten einfach das Gefühl, dass ihr nicht unsere Feine seid. Obwohl die Bomben um uns herum einschlugen, fühlten wir uns sicher ..“ (S.32)

Die Befreiung durch die amerikanischen Truppen, die Übernahme durch die rote Armee, die Flucht in den Westen und der musikalische Aufstieg in den 50er Jahren zum Star der neuen deutschen Jazzszene, alles wird detailliert dargestellt. Klar, dass da auch andere Namen fallen wie Hans Koller, Attila Zoller und Caterina Valente. 1954 wird Hipp durch den US amerikanischen Impresario Leonard Feather entdeckt, der sie nach New York holt und dort protegiert. Bei Blue Note kann sie Alben veröffentlichen. Als deutsche Frau hatte sie im Jazzbetrieb ein Alleinstellungsmerkmal, das aber auch Neid hervorrief. All das kann man natürlich im Buch viel besser nachlesen.

Live-Aufnahme vom deutschen Jazz-Festival in Frankfurt/Main 6.6.1954
Emil Mangelsdorff (AltSax), Joki Freund (TenorSax), Jutta Hipp (Piano), Hans Kresse (Bass ), Karl Sanner (Drums)

Überraschend sind bisher unbekannte Aspekte der Person Jutta Hipp: Zeichnungen und Gedichte und ihr Schicksal als Mutter eines ‚unehelichen‘Sohnes, den sie in einem Heim in Deutschland zurückließ. Auch die Nachwirkungen der rigiden Grafikausbildung werden deutlich, wenn man erfährt, dass sie Picasso einen „Schmierfink“ nannte. Erstaunlich, dass sie Free Jazz und Fusion generell ablehnte.
Hipps eigener Piano-Stil ist ein wichtiger Teil des Buches. Bach-Einflüsse, die aus ihrer klassischen Klavier-Ausbildung herrühren, verhelfen ihr schon bald zu einem eigenen Stil, z.B. bei Stompin´ At The Savoy.In den USA entwickelte sie sich weiter unter dem Einfluss ihres großen Vorbilds Horace Silver, aber auch Charles Mingus war wichtig. Das abrupte Ende ihre Karriere in einer tiefen Krise und der krasse Rollenwechsel von der Pianistin zur Zuschneiderin in einer Textilfabrik wird plausibel und ausführlich erklärt. Jutta Hipp blieb in den USA trotz einer Einladung von Ralf Kühn und Mangelsdorff, in Deutschland aufzutreten. Im letzten Kapitel ‚Goodbye Jutta‘ liefert die Autorin einen plausiblen Begründungszusammenhang zur gesamten Entwicklung von Jutta Hipp. Im Anhang findet sich zusätzlich eine Chronologie.

  • Die Autorin

Ilona Haberkamp ist selbst Musikerin. Sie hat in Bochum, Dortmund und Münster Musikwissenschaft und Saxophon studiert und spielt seitdem Altsaxofon in verschiedenen Orchestern und Bands. Wir werden sie demnächst in einem Report mit einem Interview genauer vorstellen.
Schon 1986 hat Ilona Jutta Hipp zusammen mit Iris Kramer in New York besucht. Seitdem hat sie sich intensiv mit der Geschichte von Jutta Hipp befasst und gilt inzwischen als Expertin auf diesem Gebiet. Sie spricht von drei ‚Jutta-Hipp-Wellen‘, die sie maßgeblich mitgeprägt hat.
2013, 10 Jahre nach dem Tod von Jutta Hipp, veröffentlichte Ilona das Album ‚cool is hip is cool‘, u. a. mit Ack van Rooyen, Laila Genc und Silvia Droste . Im Booklet zu dieser CD werden Kompositionen und Vorgehensweisen erklärt. Im gleichen Jahr wurden die Stücke bei den Berliner Jazztagen aufgeführt. Bei einigen Stücken ist auf der CD ‚aus dem Off‘ die Stimme Hipps. mit leicht sächsischem Akzent, zu hören.

AE

In der ‚zweiten Welle‘ erschien 2015 eine Gesamtausgabe der Musik und Kunst von Jutta Hipp. In einer aufwendigen Box wurde sie bei Be! Jazz Records unter dem Titel The Art and Life of Jutta Hipp veröffentlicht. Ein zweisprachiges Buch mit der Biografie und vielen Bildern, Fotos und Briefmaterial gehört dazu und wurde auch von Ilona verfasst. Einige dieser Fotos waren dieses auch auf der Chargesheimer-Ausstellung in Köln zu sehen.

2023, 20 Jahre nach Hipps Tod, erscheint nun die neue Biografie Plötzlich Hip(p) - Das Leben der Jutta Hipp zwischen Jazz und Kunst, in der einige Aspekte intensiver dargestellt werden.

  • Frauen im US Jazz der 50er und 60er

Einen besonderen Schwerpunkt dieser Monografie bildet die Gender-Thematik. Nach der anfänglichen Protegierung durch ihren Manager Leonard Feather, der sie in Deutschland entdeckt hatte, war Hipp immer mehr Anfeindungen ausgesetzt als ‚deutsches Frollein‘, auch weil man ihr vorwarf, dass sie 'den Schwarzen die Arbeitsplätze wegnimmt'. Von Art Blakey wird berichtet, der sie beim einem Konzert lächerlich machte.
Die Autorin blickt hier über den ‚Tellerrand Jutta Hipp’ hinaus und stellt andere junge Jazzmusikerinnen dieser Zeit vor: die Britin Marian McPartland, die Japanerin Toshiko Akiyoshi, die Afro-Amerikanerin Mary Lou Williams, Terry Pollard und andere. Diese Namen wurden ausgewählt, weil Jutta Hipp sie kannte und in einem Brief erwähnte. Wie diese Frauen in der Männerwelt des Jazz klarkamen, welche Rolle dabei auch die Hautfarbe spielte, wird beschrieben und verglichen. Auch Jutta Hipp verglich sich mit ihnen und hatte starke Selbstzweifel. Nicht zuletzt spielte auch sexuelle Nötigung, besonders von Seiten ihres Managers, eine Rolle. Heutzutage würde dies eine Welle der Empörung bei ‚MeToo’ auslösen. Am Ende des Buches werden mit Julia Hülsman, Laila Genc und Clara Haberkamp kurz drei aktuelle Pianistinnen und ihr Bezug zu Jutta Hipp vorgestellt.

  • Illustration

Eine besondere Stärke des Buches sind die vielfältigen Abbildungen. Viele Fotos werden gezeigt von Jutta Hipp, oft mit anderen Musikern und von anderen Menschen, mit denen sie zu tun hatte. Einige sind beim Besuch in New York entstanden. Außerdem sind viele Zeichnungen, oft Karikaturen von Jutta Hipp zu sehen, wobei beim ersten Lesen nicht unmittelbar deutlich wird, dass viele erst nach 1957 entstanden sind. Auch Hipps Gedichte sind abgebildet, oft in Zusammenhang mit einer Karikatur, z. B. bei Dizzy Gillespie. Dazu Platten-Cover, Kästen mit Zitaten, Exkursen. Gewünscht hätte ich mir hier noch eine Übersicht mit allen Covers der Alben, jeweils mit kurzen Angaben zu Erscheinungsjahr und Band.
Dieses ansprechende Buch zeigt eine bunte Welt in einem handlichen Format von 14x21cm. Es wird wegen der ansprechenden Aufmachung und wegen des sehr interessanten Inhalts wohl ein größeres Publikum erreichen!

Hätte Jutta Hipp besser in Deutschland bleiben sollen? Das kann keiner wissen, doch vieles spricht dafür.

Ilona Haberkamp : Plötzlich Hip(p) Das Leben der Jutta Hipp zwischen Jazz und Kunst
WOLKE Verlag
ISBN-13: 9783955931377
Bestellnummer: 11109196
Umfang: 224 Seiten, farb. Abb.
Erscheinungstermin: 15.12.2022

http://ilonahaberkamp.com

Flyer zu The Art and Life of Jutta Hipp (2015)

Am 10. Januar findet im Dortmunder domicil um 19 Uhr eine Buchvorstellung mit Musik statt. Eintritt frei

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