Hörstoff zwischen den Jahren
Christoph Gieses Schnelldurchlauf Vol. 26
TEXT: Christoph Giese |
Diesmal ausnahmsweise in der jazzreport-Rubrik angesichts von so viel neuem Hörstoff für besinnliche Feiertage! Wer noch ein Last Minute Geschenk braucht, bekommt beim Lesen und Reinhören in Christoph Gieses 26. Schnelldurchlauf noch ne Anregung:
Dezron Douglas: Atalaya (International Anthem)
Junge Jazzer sind wieder auf der Suche nach kosmischen Klängen, wie sie einst der unsterbliche John Coltrane in die Luft blies. Bassist Dezron Douglas spielt in der Band von dessen Sohn Ravi Coltrane, arbeitete aber auch mit Legenden wie Pharoah Sanders oder Hipstern wie dem Drummer Makaya McCraven zusammen. Mit Atalaya begibt sich der 41-jährige US-Amerikaner gemeinsam mit seinem Quartett mit Saxofonist Emilio Modeste auf spirituelle Pfade. Die allerdings münden nicht in ekstatischen Eskalationen wie beim großen Coltrane, sondern treiben mit kontrollierten Kräften energievoll durch den musikalischen Weltraum.
Jermaine Landsberger: With Heart and Soul (GLM)
Als Spross einer Sinti-Familie in Niederbayern geboren und lange schon in Nürnberg lebend hat Jermaine Landsberger nicht die Gitarre zu seinem Instrument erkoren, sondern die Orgel und das Klavier, auf dem er hier ausschließlich zu hören ist. Trotz seines Interesses am modernen Jazzpiano hat er sich immer etwas vo seinem Gypsy-.Background in seinem Spiel bewahrt. US-Trompeter Randy Brecker hat hier die Liner Notes verfasst und hört in Landsbergers Spiel eine „harmonische Sensibilität, die einem eine Träne ins Auge drückt, aber gleichzeitig wie verrückt swngt“. Wie wahr. With Heart and Soul klingt genau so und klingt durchweg elegant und spannend, was auch an den Mitstreitern wie Trompeter Axel Schlosser, Saxofonist Tony Lakatos oder Akkordeonist Marcel Loeffler liegt.
Free Swing: Tuuri (Double Moon)
Zwei Bläser, Rhythmusduo, Musiker aus drei Ländern – das ist die Band Free Swing. Der Bandname ist dabei Programm, denn auf Tuuri swingt das internationale Quartett mit freiem Geiste. Der deutsche Trompeter Axel Schlosser, die beiden Schweden Karl-Martin Almqvist am Tenorsaxofon und Matthias Welin am Bass sowie der Finne Jaska Lukkarinen am Schlagzeug lassen ein Harmonieinstrument dabei völlig vergessen, so intensiv und dicht klingen sie in ihren bis auf eine Ausnahme ausschließlich eigenen Kompositionen. Moderner, zeitloser Jazz, der seine traditionellen Wurzeln nicht verleugnet und mit spannenden Dialogen und solistischen Ausflügen verwöhnt.
Kansas Smitty´s: We´re Not In Kansas Anymore (Ever Records)
Schon das fünfte Album in zehn Jahren Bandgeschichte bringen Kansas Smitty´s nun heraus. Das Oktett rund um den in London beheimateten, italo-amerikanischen Saxofonisten und Klarinettisten Giacomo Smith vereint verschiedene musikalische Strömungen zu einem homogenen Bandsound. Sie spielen Swing für eine neue Ära. Elemente des modernen Jazz treffen auf Westafrikanisches sowie Pop und Blues. Emotionen möchte Smith mit seiner Truppe und seiner Musik dabei erzeugen. Das funktioniert bestens mit dieser eigenständigen und überraschenden Neubelebung von altem Swing-Ja
Bodurov Trio: Senkya Padna (Optomusic)
Auf seinem eigenen, wie er selbst in Amsterdam beheimatetem Plattenlabel bringt der bulgarische Pianist Dimitar Boduvov mit Senkya Padna das sechste Album mit seinem Trio heraus. Zu dem gehören noch Bassist Mihail Ivanov und der in der Domstadt lebende deutsche Schlagzeuger Jens Düppe . Und schon das Titelstück zum Auftakt, mit dem Sample einer singenden Frau, die einen archaischen traditionellen Folksong intoniert, nimmt beim Zuhören mit seiner Intensität gefangen. Alle von Bodurov komponierten acht Lieder basieren auf traditionellen Liedern und Motiven Bulgariens. Im Verbund mit zeitgenössischem Jazz und klassischen Elementen entstehen spannende Stücke Musik, die bis zum letzten Ton fesseln.
Andreas Feith Quartet: Dance Of The Scarabs (enja)
Feinen melodischen Jazz ohne jegliches Imponiergehabe gibt es auf dem zweiten Album des Quartetts des Pianisten Andreas Feith zu hören. Aber wer Partner wie den Saxofonisten Lutz Häfner, den Bassisten Martin Gjakonovski und den Schlagzeuger Silvio Morger an seiner Seite weiß, kann sich ganz der Gestaltungskraft von starken Stücken Musik hingeben. Dass Feith auf drei der acht Nummern zum Synthesizer greift, sorgt zudem für Klangvielfalt einer wunderschönen, relaxten, zeitlosen Modern Jazz-Platte.
Laura Hagnäs: Hagnäs (Eigenvertrieb; digital über Hey!blau Records)
Sie schreibt ihre Songs in gleich drei Sprachen: Finnisch, Schwedisch und Englisch. Kein Problem für Laura Hagnäs, die an der finnischen Westküste zweisprachig aufwuchs. In einem einsam gelegenen Häuschen in den finnischen Wäldern zog sich die Wahlberlinerin über Silvester 2019 zurück, nur mit ihrer Gitarre und einem Mikrofon, um ihr nun vorliegendes Debütalbum anzugehen. Entstanden ist ein beruhigendes, sehr minimalistisches Werk zwischen Folk, Blues und Jazz, das nicht nur, aber doch auch sehr gut zur besinnlichen Weihnachtszeit passt.
Mahsa Vahdat & SKRUK: Braids Of Innocence (Kirkelig Kulturverksted)
Die iranische Sängerin Mahsa Vahdut wartet einmal mehr mit einem sehr eindringlichen Werk auf. Die Zöpfe der Unschuld, wie der Albumtitel auf Deutsch übersetzt heißt, ist natürlich ein politisches Statement auf die aktuelle Situation im Iran, hat aber schon eine Geschichte aus Vahdats Kindheit als Hintergrund, als sie ihren Onkel im Teheraner Gefängnis besuchte, wo er wegen politischen Aktivitäten einsaß, und ihn auf ihre Zöpfe blicken ließ, die eigentlich komplett hätten verborgen werden müssen. Das mit dem norwegischen Chor SKRUK und der norwegischen Soloharfenistin Ellen Bødtker in einer Kirche eingespielte Album berührt durch seine Schlichtheit aus Gesang, in Farsi und Englisch, und Harfe umso mehr. Starke Musik einer starken Frau.