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Heisig-Klare

Hochspannendes Klangexperiment mit Phonola und Altsaxophon

Essen, 24.06.2020
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker | 

Schlicht die mit Bindestrich verbundenen Nachnamen der beiden Musiker: Heisig-Klare – so der Titel eines Albums aus der unerschöpflichen Quelle des Labels Umland Records, das immer wieder aus dem Humus der großartigen Großband The Dorf um Jan Klare Neuerscheinungsblüten zaubert, dieses Mal mit ihrem Bandleader und Saxophonisten am Altsax und dem Pianisten Wolfgang Heisig.

So bescheiden sich der Titel gibt, so voller Töne sind die sechs CD-Titel. Dies liegt daran, dass das Duo in einer gänzlich ungewohnten Besetzung auftritt: Wolfgang Heisig bedient eine Phonola, einen saugluft-betriebenen Klaviervorsetzer, der elektro-mechanisch auf der Basis von vorgestanzten Notenfolgen, quasi als Selbstspielklavier, Töne erzeugt. Damit sind Tempo, Rhythmus und Metrum von Klaviermusik frei programmierbar. Auch die Anzahl der angeschlagenen Töne kann weit über die Spielfähigkeit eines leibhaftigen Pianisten hinausgehen. Und das setzt das Duo gnadenlos um, dass einem der oft kolportiere Ausspruch Josephs II. über die Mozartsche Entführung aus dem Serail einfällt:„Zu schön für unsere Ohren und gewaltig viel Noten, lieber Mozart.“ Mit Mozart lässt sich bei der CD kontern: „Gerad so viele Noten, Eure Majestät, als nötig sind.“ Nun ja, man kann trefflich darüber streiten, ob allein die Notendichte bis hin zur clusterähnlichen Verschmelzung in unseren Ohren Verzückung auslöst. Jedoch gelingt dem Duo im Zusammenspiel von Selbstspielklavier und Saxophon ein ganz eigentümliches, hochspannendes Experiment.

Hommage an Conlon Nancarrow

Wolfgang Heisig beschäftigt sich seit den 1990er Jahren mit dem mexikanisch-amerikanischen Komponisten Conlon Nancarrow (1912-1997), es dürfte neben György Ligetis Heisigs Verdienst sein, sich um die Verbreitung von Nancarrows eher unbekanntem Werk zu kümmern. Seine Kompositionen für Player-Piano stanzte Nancarrow in Papierstreifen, in den späteren Lochstreifen ähnliche Notenrollen. Das aktuelle Album greift drei Stücke von Nancarrow auf: Study for Player Piano #11 lässt bis zum stupend schnellen Höhepunkt „linke und rechte Hand“ in einem wilden polyphonen Tanz aufeinanderprallen, Jan Klares Saxophon-Linien fügen sich dem in puncto Tempo und Variationsreichtum. Study for Player Piano #3b beginnt zunächst als ruhigere Walking-Nummer, den erst gleichmäßigen Takt umspielt das Altsax nuanciert. Allmählich, fast unmerklich verschieben sich Metrum und Harmonien, um schließlich die Grenze zur Kakophonie zu erreichen. Am Ende findet das Stück versöhnlich zum relaxten Beginn zurück. Study for Player Piano #3d ist eher eine „klassisch jazzige“ Duo-Nummer.

Komponiert? Programmiert? Unspielbar?

Die beiden Kompositionen aus der Feder von Jan Klare zeigen andere Facetten des ungewöhnlichen Duos mit seiner ebensolchen Instrumentierung: In Prinzenrolle deklamiert der Saxophonist bei hohem Tempo ein Auf und Ab über einer ständig sich leicht verändernden Figur zunächst im oberen Register des mechanischen Klaviers. Verwundert nimmt man dabei die subtilen Variationen des akustischen Perpetuum mobile wahr. Doppelrolle beginnt mit einem langen fanfarenartigen Altsax-Ton, der im Verlauf des Stücks in ein obertonreiches Spiel übergeht und vielfältig moduliert wird, wozu die Phonola wuchtige Akkorde beisteuert. Das letzte Stück des Albums ist die fünfminütige Eigenkomposition 13865 Nuclear Weapons von Wolfgang Heisig. Der Pianist „programmiert“ die Phonola für sein Solo-Stück so, dass erratische Läufe im Bass und Diskant in ihrem Tempo mehrfach gesteigert werden, als solle bewiesen werden, dass das Selbstspielklavier spielerische Optionen für eigentlich im pianistischen Sinne unspielbare Stücke eröffnet. Und dies gelingt voll und ganz, wobei in der Tat „gewaltig viele Noten“ anfallen. Diese klingen jedoch nicht, wie man von einem künstlich Töne generierenden Apparat erwarten könnte, steril-mechanisch – man denke an entsprechende Ergebnisse von Midi-Instrumenten -, nein, die künstlerische „Handschrift“ des Pianisten, seine pianistische Intervention erkennt man deutlich an seinem nuancierten Pedalieren, an den Einflussmöglichkeiten durch Dynamik- und Tempo-Hebel, die aus den Stanzrollen wirkliche Musik entstehen lassen. Dies gilt für die gesamte CD, Heisig-Klare ist in der Tat ein vor Energie strotzendes außergewöhnliches Klangexperiment.

Heisig-Klare, Umland Records 29

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