Hayden Chisholm
Breve
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker |
Schon die ersten Töne auf der neuen CD Breve von Hayden Chisholm lassen den Zuhörer in den Bann ziehen: Selten hört man im Kontext von Jazz eine derart geradezu befremdlich ruhig-subtile Musik. Dem aktuellen Improviser in Residence beim moers festival gelingt mit seinem Altsaxophon eine Tonbildung, die im Jazzidiom als ungewöhnlich gilt.
Breve ist Titel der CD und zugleich Bandname, im Trio arbeitet Chisholm, gebürtiger Neuseeländer mit augenblicklichem Lebensmittelpunkt in Köln und Belgrad, mit eng vertrauten Kollegen: John Taylor am Piano (bis 2007 Professor für Klavier an der Hochschule für Musik), am Kontrabass sein seit zwanzig Jahren in New York lebender Landsmann Matt Penman, den der Kosmopolit Chisholm seit der gemeinsamen Schulzeit in Neuseeland kennt.
Der Titel ist doppeldeutig: Er steht im Englischen für die längste Note in notierter Musik, im Deutschen wird für die doppelte ganze Note der Begriff ‚Brevis‘ gebraucht, dieser geht auf das lateinische Wort für ‚kurz‘ zurück. Wortspiele, ein Spiel mit den Worten in der Titelgebung, sind auch eine Besonderheit der CD: Der ruhige Intro-Titel Patche ist ein Anagramm aus den Initialen der Trio-Musiker. Tinkerbell Swing bezieht sich auf die Fee in Peter Pan. Das Stück gibt in der Tat eine beschwingte Version der Musik der CD, die ansonsten ein ausgesprochen ruhiges Temperament, eine äußerst zurückhaltende Gesamtdynamik aufweist. Die schnellen Arpeggien v.a. des Altsaxophons zeugen von einer Könnerschaft nicht nur in der Tonbildung, sondern auch in der Virtuosität Chisholms. Geradezu einen Temperamentausbruch erfährt man in Pass A Cage, Lea. Der Titel beinhaltet ebenfalls ein lautmalerisches Wortspiel, das auf die formale Struktur des Stückes als Passacaglia verweist. Chisholm spielt hier - treffsicher intonierend und der Genreform entsprechend - eine durchgehende Basslinie und schmückt diese phantasievoll variierend aus. Augmented Waltz ist ein schneller Walzer aus der Feder von Chisholm, der Titel verweist bereits auf die übermäßige Quinte als Kompositionselement. Chisholm zieht mit seinen schnellen Saxläufen in den Bann, auch der Bass Penmans fügt sich im virtuosen Spiel der Drei treffend ein. Die CD wartet mit einem weiteren Walzer auf: Inebriate Waltz („berauschter Walzer“).
Ein Saxofon wie ein mehrstimmiges Vogelkonzert
Chisholm deutet diese Komposition von ihm als typisch für die frühen Morgenstunden, „wenn die Menge sich hin- und herzuwiegen beginnt.“ Hier klingt sein Saxophon wie ein mehrstimmiges Vogelkonzert. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Klangwelt des Trios ist diametral der der aggressiv-hektischen Charlie „Bird“ Parkers und seiner Bebop-Epigonen entgegengesetzt, sie erinnert am ehesten an den Cool Jazz, an West Coast. Vor allem der Altsax-Ton Chisholms changiert auf allen neun Titeln der CD zwischen der sophisticated Spielweise eines Johnny Hodges und den Lyrismen eines Paul Desmond, er entspricht vielleicht eher dem Klangideal der klassischen Musik, ist jedoch in der Phrasierung typisch Jazz mit deutlich melodisch-vokaler Ausprägung. Das Schluss-Stück Fly gibt einen Aus-Klang der CD, mit einem ausgesprochen ruhig-relaxten Song wird man in lauer (Abend-?)Luft aus dem bezaubernd schwebenden, scheinbar schwerelosen Klangraum von Breve entlassen.
Die erste Studio-Veröffentlichung des Trios demonstriert eine enge Vertrautheit der drei Musiker, ein genaues Aufeinanderhören ist den einzelnen Titeln anzumerken. Die kammermusikalische Präzision des schlagzeug-losen Trios begeistert. Dass alle drei Musiker bei den Titeln der CD auch die Komponisten-Rolle einnehmen, zeigt, wie eng das musikalische Grundverständnis der Drei ist, wie sie als Trio eine gemeinsame Klangcharakteristik, Tonfärbung und Dynamik entwickeln. Dies vollzieht sich organisch, unaufdringlich. Statt rhythmischer Akzente dominiert ein elegisch melodischer Klangraum mit ansprechender Farbigkeit und einem vielleicht dem Fado verwandten Songcharakter. Die Akkorde vom Piano sind schlank und subtil gesetzt, dem entspricht das gelöste und entspannte Bass-Spiel Matt Penmans. Die CD zeugt von einer hohen Kunst der feinsinnigen Zurückhaltung und einer fein gesponnenen Geschmeidigkeit. – wunderbar! Auf den Improviser in Residence in Moers darf man gespannt sein.
Hayden Chisholm: Breve
Pirouet Records PIT 3081
Vertrieb Naxos
(VÖ 27.03.2015)