Hauschka
Philanthropy
TEXT: Stefan Pieper |
Kann Hauschka mit seinem neuesten Album "Philanthropy" erneut die Musikwelt begeistern? Der innovative Düsseldorfer Musiker und Komponist, bekannt für seine einzigartige Kombination aus (vielfach präpariertem) Klavier und elektronischen Klängen, hat schon wenige Monate, nachdem er den Oskar für seinen Soundtrack zur Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ bekam, ein neues Werk kreiert. Und ja - dieses neue Album ist in bestem Sinne ein „Werk“. Deswegen ist dessen Rezension zum Jahresabschluss auf nrwjazz auch angemessen platziert.
Was heißt eigentlich Philantropie? Das griechische Wort meint so etwas wie „allgemeine Menschenliebe“ – und das ist hier nicht einfach ein hohler Slogan, sondern der konzeptionelle Schlüssel für sämtliche zwölf Stücke, die für alle möglichen Perspektiven dieses Ideals die passenden, klingenden Zustände von Empfindsamkeit erzeugen. Die bewährten Hauschka-Qualitäten klar definiert: Es gibt wohl selten einen Künstler, der aus einer derart in sich geschlossenen, fast monolitischen Ästhetik so reichhaltige - und ja – auch so aufrichtige emotionale Klang-Facetten in permanenter Erneuerung abruft. Jener Paradigmenwechsel, den Volker Bertelmann seit den 2000er Jahren vor allem durch Auseinandersetzungen mit repetitiver Technomusik schöpfte, ist auch zwei Jahrzehnte danach immer noch fruchtbar.
Liebeserklärung an die Menschheit
Wie Hauschka alias Volker Bertelmann in den zwölf Nummern die Klänge setzt, Texturen, Temperamente und Farben dosiert, das sagt zum Jahreswechsel mehr als alle Worte, die gerade jetzt wieder in opulenter Fülle aufgetürmt werden: Die Opener-Nummer "Diversity" pulsiert in lebendiger akustischer Vielfalt. Ja, es geht darum, Vielfalt zuzulassen, wie sie auch aus diesem motivischen und riffähnlichen Klavierspiel hervorgeht. Ähnlich funktioniert das rockige Stück „Invention“ - ja, es lohnt sich, nach vorne zu blicken. "Searching" mit seiner hypnotischen Melancholie schließt ein, dass jedes Fragezeichen in Bezug auf die Zukunft unserer Welt seine Berechtigung hat. Weite Klanghorizonte überspannt das Stück "Detached", derweil eine lyrische, pulsierende Melodie dazu aufruft, den Weg zu gehen. Hervorstechendes Merkmal an diesem neuen Album sind überhaupt die zahlreichen, hevorragenden melodischen Einfälle, die gerade in den ruhigeren Stücken tief berührende Gegenpole zu den Texturen setzen. „Limitation of Lifetime“ wirkt wie eine Elegie über die Limitiertheid des Daseins, regelrecht zärtlich wird es im Stück wie „Loved Ones“, das wir ruhig als Liebeserklärung an die Menschheit bezeichnen dürfen, ebenso im Stück „Nature“ - Natur, deren ganze Zerbrechlichkeit in den klagenden Klaviertönen und den dazu latent morbide pochenden Geräusch-Beats eingefangen wird. Das groovigste Stücke ist sicherlich "Generosity" mit seinem kraftvollen Beat, der für den Dancefloor taugt, aber über diesen mit seinen ganzen hymnischen Klangeinfällen auch wieder souverän hinaus schwebt. Regelrecht dystopisch, fast schon eine echt Dark-Ambient-Nummer ist das letzte Stück "Noise". Es gibt Düsternis, aber auch Zuversicht und ganz viel kongenial in Töne und Klänge überführtes Mitgefühl auf diesem unbedingt lohnenden Album, das von seiner melancholischen Aussage her manchmal auf einer ähnlich melancholischen Wellenlänge funkt wie der geniale zivilisationskritische Experimentalfilm "Koyaanisqatsi" aus den 1980er Jahren. Aber damit verglichen doch wieder deutlich etwas mehr hoffnungsvolles Leuchten am Horizont aufblitzen lässt, vor allem, wenn Hauschka und seine Mitmusiker es vorwärts treiben lassen.
Etwa derart Durchkonzipiertes produziert auch der beste Vollprofi nicht in ein wenigen Monaten. Bereits 2019 begann Hauschka die Arbeit an diesem Album - übrigens in Zusammenarbeit mit dem finnischen Schlagzeuger Samuli Kosminen, der sonst an der Band Mum beteiligt ist und hier auf zwei Stücken mitspielt.