Gunther Thiedemann und Michael Villmow
Kreuzüber Bach II
TEXT: Stefan Pieper |
Johann Sebastian Bachs Cellosuiten sind wie der heilige Gral für dieses Instrument. Jeder Cellist verinnerlicht diese Kompositionen, die musikgeschichtlich einzigartig sind – vor allem in ihrem Anliegen, barocke Mehrstimmigkeit auf das Potenzial eines einzelnen Streichinstruments herunter zu brechen. Im Projekt „Kreuzüberbach“ suchen und finden der Cellist Gunther Tiedemann und der Saxofonist Michael Villmow neue, erstaunliche Aus- Um- und Abwege. Die auf ihrer zweiten CD auch allesamt wieder Bachs zeitlose musikalische Ideen in dessen zweiter Suite bekräftigen.
Der genreübergreifende Cellist aus Köln und der aus Hamburg stammende Saxofonspieler zeigten sich bei den Aufnahmesessions in der Zisterzienserkirche der Abtei Marienstatt sowie in der Pauluskirche Köln-Dellbrück ihrer hohen künstlerischen Verantwortung bewusst. Was immer Gunther Tiedemann und Michael Villmow in wohlüberlegter Konstellation anstellen, die Melodien und Harmonien funktionieren nach wie vor sehr unmittelbar aus sich selbst heraus. Denn die Musikalität, ja, das filigrane Musikantentum von Gunther Tiedemann und Michael Villmow wirkt wie eine neue Luft zum Atmen für die barocken Tanzsätze Gigue, Sarabande, Courante und Co. . Bachs herausfordernde Bündelung der Stimmführung auf einem einzigen Instrument wird zum Teil wieder aufgehoben, was Raum gibt für überraschende Dialoge zwischen zwei sehr unterschiedlichen Instrumenten. Gerne überlässt Tiedemann die Melodieführung dem Saxofonisten. Dessen manchmal durchaus an Jan Garbarek erinnernder Sound wirkt wie ein fein geführter Kalligraphenstrich in imaginärer Notenhandschrift. Tiedemann bleibt derweil auf seinem gestrichenen und gezupften Cello ein hellwacher Jazzer - allein, wenn er das Cello mit treibendem Swing akkordisch zupft. Wie überraschend vielseitig sind diese ganzen neu entstandenen Ab- und Ausschweifungen und natürlich auch Improvisationen sowie ein paar dezent eingestreute Eigenkompositionen! Spannend sind die Gegensätze, welche allein schon in Bachs zweiter Suite angelegt sind. Nicht minder aufregend sind die Vergleiche, die möglich werden, da Tiedemann und Villmow, auf dieser CD jeweils ein „Original“ und eine Neubearbeitung präsentieren.
Die Courante wird im improvisierten Duo aus Cello und Saxofon zu einem noch stürmischeren Wettlauf. Cellist und Saxofonist übernehmen abwechselnd das Steuer der Melodieführung, während der jeweils andere für swingende Begleitmuster sorgt. Tiedemanns Tongebung auf dem Cello ist kraftvoll, rauh, geerdet. Villmow spielt auf dem Saxofon meistens schlanker und filigraner auf - ein spannender Gegensatz! Nicht nur die Sarabande ist durch ihre fast orchestralen Doppelgriff-Passagen für jeden Cellisten eine Herausforderung an die Intonation. Tiedemann und Villmow lösen in ihren Dialogen gerne mal die hermetische Strenge des Originals auf. Im Menuett wechselt Tiedemann zur Kirchenorgel, auf der dann ein jazziges Ostinato erklingt, in das Villmows Saxofon anmutig einstimmen darf. Die synkopenlastige Gigue ist schon in Bachs ursprünglicher Diktion purer Jazz - wenn man sie sich so zu spielen traut. Tiedemann, der mutige Grenzgänger, gibt hier alles auf seinem Cello, das von seiner klanglichen Abstimmung durchaus mal an einen gestrichenen Kontrabass im Jazz erinnert. Verblüffend auch: Die Gigue in Bachs Originalversion aus Tiedemanns forsch akzentuierendem Cello klingt deutlich mehr nach Jazz , während Villmows feinfühlige Saxofonversion in ihrer noblen, schlanken Phrasierung viel „klassischer“ daher kommt.
Ein Jazzbassist oder auch -cellist, der etwas zu sagen hat, überwindet in einem Solo jedes eitle "Herumgejazze" über irgendeinem Muster und findet im Idealfall Momente der Versenkung. Spirituell wirkt, wenn Tiedemann Bachs Allemande wie in einem Rezitativ puristisch auf den melodischen Wesenskern reduziert. Manchmal könnte die Frage entstehen, von wem denn nun wohl diese großartige Ballade ist, die Villmow auf dem Saxofon spielt - hätte man hier nicht schon von vornherein Bach auf dem Schirm. Ja, diese ganzen Perspektivwechsel offenbaren in keinem Moment auch nur die geringste Spur einer Verwässerung, sondern erweitern nachhaltig das Bewusstsein und versehen letztlich Bachs ewige musikalische Ideen mit einem dicken Ausrufezeichen!
CD:
Kreuzüber Bach II
Gunther Tiedemann : Cello, Orgel
Michael Willmow: Saxofon
Label: MicNic 2020 (auch als Download erhältlich)