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Grégory Privat Soley

"Se réveiller dans sa vie"

Bochum, 29.02.2020
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Roch Armando

„Se réveiller dans sa vie“ – „In seinem Leben erwachen“

Grégory Privat – dieser Name war mir neu. Da hört man erstmal rein und versucht sich ganz unbefangen einen Eindruck zu verschaffen. Aber man ist befangen, wahrnehmen heißt auch sich zu erinnern, sich zu orientieren, zu vergleichen. Ich musste jedenfalls gleich an e.s.t. denken, nicht nur wegen der Besetzung. Aber dann auch, und das triffts wohl schon eher, an Roberto Fonseca‘s Lo que me hace vivir. Anyway. Grégory Privat lässt sich jedenfalls nicht auf einen Stil festlegen.

Er wurde 1984 in Martinique, also in der Karibik, geboren mit Kreolisch als Muttersprache. Bei kreolischer Musik denke ich als Jazzfan an Duke’s Creole Love Call oder an den Creole Blues von Sidney Bechet, aber davon höre ich nichts heraus. Es geht um etwas Anderes.

Grégory selbst gibt uns zu seiner neuen CD, die im März 2020 erscheint, eine gute Einführung auf YouTube. Danach steht das kreolische Wort SOLEY (Sonne) für:

S PIRITUALITY
O PTIMISM
L IGHT
E NERGY (Coming to)
Y OU

Autobiographischer Hintergrund ist, dass er nach seinem Studium in Frankreich als Ingenieur arbeitete, damit aber sehr unzufrieden war, weil er seinen Traum nur Musik zu machen nicht leben konnte. In LAS – ‚Müde‘ beschreibt er diesen Zustand mit einem kreolischen Text. Nachdem er sich entschieden hatte seinen Beruf aufzugeben, konnte er sich neu erfinden: „Se réveiller dans sa vie“ nennt er das. Ähnliches will er auch seinen Zuhörern vermitteln, wenn er mit seiner Musik ein neues Universum schafft, in dem sie sich neu entdecken können. Es geht nicht um eine esoterische Art der Erleuchtung, aber um ‚La Lumière‘, die Idee des Lichts : sich über die Musik von der kreolischen Sonne bescheinen zu lassen und so neue Energie zu gewinnen. Seine kreolischen Ursprünge spielen hier nicht mehr eine so große Rolle. Es geht vielmehr, wie Patrick Chamoiseau im booklet der CD erklärt, um Weltmusik:

„The night of slavery was a dreadful rift through which blues, jazz, reggae, salsa, beguine or zouk music and in the end, all of us, people of the Carribbeans, could access to the relational immensity of the world.”

Auf diesem neuen Album ist modernste Technik am Start. Die Band hat aufgerüstet. Grégory Privat spielt Piano, aber auch ‚Nord Stage 2‘, das ist der Produktname eines Keyboards. Chris Jennings spielt Double Bass, also einen sehr großen Contrabass. Doch auch die Töne dieses traditionsreichen Instruments werden elektronisch verändert. Tilo Bertholo spielt drums, aber auch ‚SPD 5‘. Das ist keine Partei, sondern ein elektronisches drum pad, wie ich mit Hilfe des Internets gelernt habe.

Wie klingt nun diese neue Weltmusik?

Zunächst fällt auf, dass Grégory singt, d.h. eigentlich singt er gar nicht, er summt laut, er tönt. Es ist nicht Scat, es ist nicht Vocalese, es erinnert an Backing Vocals, nur dass die Funktion des Lead Vocalists hier von Gregory selbst zeitgleich auf dem Klavier bzw. Keyboard übernommen wird. Deshalb steht auch auf der CD nicht voc, sondern voice, denn vocals klingen anders. Mit der Stimme schafft er Klangflächen, schon im Intro, u. a. auch in Soley und Seducing the Rain.

Die Stücke sind sehr melodisch, aber auch sehr rhythmisch und alle von Gregory komponiert. Blue Notes und Jazz scheinen weit entfernt, auch wenn manchmal Anklänge zu finden sind. Eine Melodie begleitet oft ein ganzes Stück, sie wird variiert, in Soli weitergeführt und am Ende manchmal gebrochen, manchmal auf den Anfang zurückgeführt. Dabei beginnt Gregory oft mit dem Klavier, geht dann zum Keyboard über oder spielt beides gleichzeitig, so dass man meint, es wäre noch ein vierter Musiker dabei.

Allerdings ist der Pianist allgegenwärtig. Kaum, dass er mal nicht zu hören wäre, es bleibt wenig Raum für Soli der anderen beiden Musiker. Chris Jennings kann da ganz traditionell den Bass streichen und ‚klassisch‘ klingen, was ihm bei seiner klassischen Musikausbildung nicht schwer fallen dürfte. Er kann aber auch Töne elektronisch verzerren, flirren, manchmal die Melodie in Originaltönen doppeln, im Walzer am Ende auch ein langes Solo hinlegen. Tilo Bertholo an den drums ist sehr rege, er hat schon bei dem vorgehenden Album mitgespielt und zeichnet sich durch vielfältiges rhythmisches Spiel aus. Da auch das Klavier oft sehr rhythmisch agiert, muss er nicht durchgängig den Takt durchhalten, er lässt Pausen und bringt kleine Soli ein.

15 Takes auf einer CD, das ist eine ganze Menge. Über die Reihenfolge mag man verwundert sein, Prelude steht an 5., Outro an 8. Stelle. Die kurzen Stücke Prelude und Interlude von 1 bis 2 Minuten klingen schon fast wie Minimal Musik. Die Musik ist insgesamt anspruchsvoll, doch nach 14 Stücken ist es mal genug, da kommt ein besinnlich-fröhlicher Waltz for MP als Abschluss gerade recht.

Interessant ist der Vergleich mit dem Album Family Tree, das vor vier Jahren erschien. Dort spielt ein anderer Bassist und es gibt keinerlei elektronischen Geräte. Hier hört man mehr blue notes, Le Bonheur kann ich nur empfehlen, liegt näher am Jazz und gefällt mir besser.

Grégory Privat ist mit seinem Trio leider nicht in Deutschland unterwegs. Er hat aber mit Lars Danielsson und anderen schon 2017 Liberetto III aufgenommen, als Duo gastiert er im Juli bei Jazz Goes Föhr.

Grégory Privat: Soley

Grégory Privat: Family Tree

Lars Danielsson, Liberetto III

www.youtube.com/watch?v=AUva8TQ0Q2A

Fotos: Roch Armand, mit freundlicher Genehmigung von Buddham Jazz

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