Got hard
Europäische Fusion-Musik mit alpinem banda-Konzept
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker |
Man braucht nicht unbedingt in Urlaubsstimmung zu sein und sich über die Alpen in Richtung Süden zu bewegen, um dieses Album zu mögen: got hard ist der Titel der soeben bei Leo Records erschienenen CD, die ein Live-Konzert der Sonderklasse reproduziert, ein Konzert im Rahmen der Biennale Alpentöne mit dem Alpentöne Blasorchester unter der Leitung von Michel Truniger, dem Quartett Pago Libre mit dem Hornisten Arkady Shilkloper, Florian Mayer (vl), dem Pianisten John Wolf Brennan und Tom Götze am Bass, erweitert um Christian Zehnder (Stimme), Christy Doran (g), Patrice Héral an den Drums und irischen Gastmusikern.
Die Fusion von Jazz und traditioneller Blasmusik hat sich – von Italien ausgehend - vor allem in den letzten Jahrzehnten nicht nur im Alpenraum etabliert und mit vielen unterschiedlichen Varianten entwickelt.
Das Schweizer Festival präsentiert in got hard mit seiner Großformation ganz unterschiedliche musikalische Quellen, zu der eine irisch-schottische Komponente hinzukommt. Ergebnis dieser verschiedenen Quellen ist ein quicklebendiger Strom, eine humorvoll-kreative Musikproduktion von hervorragenden Künstlern, die ihre solistischen Qualitäten mit einem intelligent abgestimmten Ensemblespiel zu verbinden verstehen. Dieser Ansatz drückt sich nicht nur im Musikalischen, sondern auch in der Titelgebung mit entsprechendem Sprachwitz aus: Der fanfarengleiche Auftakt got hard mit dem Alpentöne Blasorchester und dem französischen Drummer ist eine Komposition von John Wolf Brennan und trägt den Untertitel FunPhare for the Common Sense und die Orchesterbezeichnungen Con brio, Ur(i)chig wild, sCHwingin’ like a little big band, Valse felliniesque, imitatio, Reprise bizarre, Tan?Go? und Finale. Und die Titel sprechen für sich. Das folgende über 12-minütige Randulin Variaziuns beginnt mit einem schwebenden Oberton-Gesang. In unterschiedlichen Tempi und (Violin- und Gitarren-)Soli vernimmt man Variationen eines Folksongs aus dem Engadin, das Publikum ist hörbar von den vielfältigen humorvollen Einfällen begeistert. Zu einem funkigen Alphorn-Tanz schwingt sich in Robin die gesamte Formation des Alpentöne Blasorchesters und von Pago Libre auf, es kommt zu einem Zwiegespräch zwischen Gitarre und Violine, der (russische) Hornist mit seinem Riesenhorn gesellt sich mit behändem Spiel dazu. Eine chaotisch-feinsinnige „comprovisation“ vor allem im Trialog von Christy Doran, John Wolf Brennan – beide übrigens sind Iren und Schweizer – und Patrice Héral sind in dem „freiesten“ Stück, in got hard – a ma/thema/gical fortspinnung, zu hören. GruyAIR beschwört mit Christian Zehnders Jodel- und Florian Mayers schottisch-irisch anmutender Violin-Einlage und einem pathetischen Tutti die vielleicht keltischen Ursprünge des Helvetischen – zumindest in musikalischer Hinsicht. Diese Fusion wirkt ebenso unangestrengt wie der Einsatz von Dudelsack und irischer Flöte in Tam Lyn. Jodeln und Stimm-Perkussion machen aus Nana? und Tü-Da-Do in Verbindung mit großer Besetzung eine frisch-freche Klangzauberei. Letzteres Stück variiert in onomatopoetischer Weise den Klang von etwas typisch Schweizerischem, dem Horn des omnipräsenten Postautos. Während Lai Nair sich auf ein wunderbares Duett von Alphorn und Bass beschränkt, werden im letzten Stück des Albums, in Fake Five, bis zum Kollektiv-Jodeln noch einmal alle Register der Großformation gezogen. Der 5/4-Takt ist übrigens neben der Anspielung im Titel die einzige Verbindung zu dem Dave Brubeck-Klassiker.
Das Album Got hard ist ein Beispiel für eine erfrischende europäische Fusion-Musik, die die Blasmusiktradition in verschiedene Kontexte überführt und dabei mit einer gehörigen Portion Humor im Regionalen verwurzelt bleibt. Nicht nur auf dem Weg in Richtung Süden beim Überqueren der Alpen, sondern auch als Assoziationsraum mit viel Esprit für die Daheimgebliebenen ausgesprochen hörenswert!
Pago libre & friends: got hard. Leo Records 2018. CD LR 835