Giovanni Guidi, Gianluca Petrella, Louis Sclavis, Gerald Cleaver
Ida Lupino
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker |
Als eine permanente Versuchsanordnung kommen einem die Sound-Basteleien von ECM-Chef Manfred Eicher vor, dessen Spezialität neben erstklassiger Tontechnik darin besteht, immer wieder verschiedene Potenziale von Musikern zusammen zu bringen und damit Neues zu kreieren. Bei dem jüngst erschienenen Album Ida Lupino führt sein Möglichkeitssinn das italienische Spitzen-Duo mit Giovanni Guidi am Piano und Gianluca Petrella an der Posaune zusammen mit den Altstars Gerald Cleaver aus den Staaten an den Drums und dem Franzosen Louis Sclavis an der (Bass-)Klarinette. Das Duo ist in vielen Zusammensetzungen – nicht zuletzt im Kontext von Enrico Rava – aufgetreten und hat eine bemerkenswerte improvisatorische Konvergenz entwickelt. Mit Cleaver haben die beiden Italiener bereits gemeinsam musiziert, interessanterweise stößt der umtriebige Louis Sclavis zum ersten Mal bei der Aufnahme der CD zu ihnen. Das Ergebnis des Zusammenspiels ist ein ausgesprochen erfrischendes Surfen der vier auf gleicher Wellenlänge. Angeknüpft wird dabei zu einem Teil bewusst an eine gewisse Jazz-Tradition, indem mit dem Titel-Stück an dessen gerade 80 Jahre alt gewordene Komponistin Carla Bley erinnert wird und natürlich an Paul Bley, der für eine weltweite Verbreitung von Ida Lupino gesorgt und einen gewissen Einfluss auf Giovanni Guidi gehabt hat. Gato! ist ein fast 10-minütiges melancholisch-trauriges Abschiedsgeschenk an den im April diesen Jahres verstorbenen Gato Barbieri. Es beginnt totenglockengleich mit einem dunklen Klavierakkord, auf den einsetzenden Trauermarsch legt sich eine klagende Posaunenstimme, allmählich wechseln Tempo und Temperament, um in dem zweiten Teil des Stücks wieder in sehr ruhig-fließende Arpeggien am Piano überzugehen. Ein paar Minuten Stille bilden – wie bei vielen Tracks - den Ausklang. Der Protestsong Per i morti de Reggio Emilia vom Singer-Songwriter Fausto Amodei ist äußerst ruhig und nachdenklich gehalten, er berührt gerade durch seine fokussierte Dramatik, durch eine einfache Grundierung der „erzählenden“ Posaune durch Piano und Drums – ein sehr eindringliches Gedenken des Todes von fünf streikenden Arbeitern durch die Hand von Ordnungskräften im Jahre 1961. Auch La Terra lebt von einem ruhigen Grundtenor und der besonderen Klangfarbe der Klarinette. Überhaupt ist der durchgängige Charakter des Albums von melodisch orientierter Improvisation bestimmt. Nicht von ungefähr beginnt der Opener What We Talk About Whe We Talk About Love nach vier Sekunden Stille mit einem einfachen Drei-Akkord-Thema auf dem Klavier, zirkulär präsentiert, von zurückhaltenden Drums unterstützt, von einer klar intonierten Posaune getragen. Auch Just Tell Me Who It Was arbeitet mit einer relativ minimalistischen Struktur mit einem loopartig eingesetzten Piano und einer orientalisch klingenden Weise auf der Bass-Klarinette und Petrellas Einsatz an der Posaune. Jeronimo ist dann wieder weniger strukturiert, zu hören sind schnelle Läufe auf dem Klavier, die die Bläser kommentieren, es entwickelt sich eine tastende Interaktion, die sich zu einem Finale mit abruptem Schluss steigert. In andere abstraktere Gefilde bewegen sich die vier Musiker mit Tracks wie No More Calypso? mit einer nervösen Leichtigkeit oder mit einem geheimnisvollen Klanggeflecht von Bass-Klarinetten-Solo im tiefen Register mit dissonanten Klavierakkorden und -läufen, Geräuschen und Besenarbeit am Drumset. Auch die folgenden Stücke wie Things We Never Planned, Fidel Slow, Hard Walk oder das kurze Zweig behalten – der erstere Titel besagt es bereits – den improvisatorischen Gestus des Schwebenden mit teilweise bedrohlich klingenden Elementen bei. Der Ansatz ist bei diesen Stücken sehr minimalistisch und eher impressionistischen Klangtupfern verpflichtet. Mit dem balladesken The Gam Scorpions findet die CD einen zarten Ausklang, der wiederum an die eher melodisch ausgerichtete Improvisation der Anfangsstücke anknüpft. Insgesamt findet sich in Ida Lupino eine relativ abstrakte Improvisationskunst, die es versteht, fragile Lyrismen und melodisch orientierte Spontankompositionen auszubalancieren und damit wunderbare Miniaturen zu entwickeln.
Giovanni Guidi/Gianluca Petrella/Louis Sclavis/Gerald Cleaver: Ida Lupino. ECM 2462 478 5476