Gerd Dudek
Night and Day
TEXT: Ingo Marmulla | FOTO: Caroline Forbes | Illustration: Rina Donnersmarck
Lange mussten wir warten, genauer gesagt: 10 Jahre, bis ein neues Gerd Dudek Album erschien. Und das, obwohl nur wenige Jazzmusiker so viele CD-Einspielungen nachweisen können, wie der Kölner Gerd Dudek. Sein Musikerfreund und Saxophon-Partner Evan Parker war es, der wie schon 2002 die CD „‘Smatter“und nun „Day and Night“ produziert und auf seinem Label psi-records heraus gebracht hat. Auch dieses Mal haben sich hervorragende in England lebende Musiker als Sidemen hinzugesellt. Da ist zunächst der deutsche Pianist Hans Koller, der mit gleichem Namen, wie der legendäre Saxophonist, schon seit längerem in England lebt und arbeitet. Wie man auf dem Tonträger hören kann, ist er ein sehr guter Begleiter und fantasievoller Improvisator. Seinem Trio, das hier als Begleitgruppe fungiert, gehört noch der viel beschäftigten Bassist Oli Hayhurst und der New Yorker Schlagzeuger Gene Calderazzo an, Bruder des derzeitiger Marsalis-Pianisten. Wir haben es also hier mit einer hochkarätigen Begleitband zu tun, die am Vorabend im Londoner „Vortex“ gastierte, um am Folgetag (... bis in die Nacht – daher wohl der Titel der CD) im Curtis Schwartz Studio die Musik einzuspielen.
Dies gleich vorweg: Für mich ist die CD sehr gut produziert und bietet spannende, wirkliche Jazzmusik auf höchstem Niveau - Musik, die unterhält, der man aber auch konzentriert zuhören muss. Darüber hinaus kann man wohl sagen, dass die vorliegende CD akustisches Studienmaterial für aktive Jazzmusiker bietet – insbesondere für Studierende des Faches Saxophon. Gerade diese jungen Musiker sollten sich „Day and Night“ unbedingt besorgen. Es gibt nur sehr wenige Saxophonisten in Europa, die wie Gerd Dudek gewissermaßen als Bindeglied zwischen Tradition und Avantgarde agieren und darüber hinaus noch auf den großen und kleinen Bühnen des Landes hautnah erlebbar sind. (so zum Beispiel am 10.10. auf dem Nordsterntum in Gelsenkirchen und am 11.10. im Gewölbekeller des Haus Erholung in Mönchengladbach).
Diese Verbindung von tradiertem und hochmodernem Spiel wird bei der Auswahl des Repertoires sichtbar. „Step Tempest“ ist eine Komposition von Herbie Nichols. Dank „YouTube“ kann man sowohl die Originaleinspielung als auch die Neuinterpretation von Misha Mengelberg aus dem Jahre 1984 hören und mit der Dudek-Version vergleichen. Es war in der Tat die Generation Dudek, die den amerikanischen Bebop-Pianisten neu entdeckt hat und zu spätem Ruhm verhalf. Auch wenn die alte Blue-Note-Einspielung etwas langsamer ist, hält sich das Klaviertrio insgesamt an das Original. Der Swing bildet das rhythmische Fundament fast der gesamten CD und ist das Rückrat für die chromatisch ansteigende Melodie mit folgendem Mittelteil. Die Komposition klingt traditionell und doch ungewöhnlich, manches erinnert an Monk. Dudek beginnt recht harmonisch um bald, ebenso, wie seine Begleiter, den musikalischen Rahmen in Frage zu stellen, und so die Komposition neu zu beleuchten.
Es folgt „Congeniality“ von Ornette Coleman, ein Klassiker aus dem ’59 Album „The Shape of Jazz to Come“ mit dem pianolosen Quartett und Don Cherry an der Trompete.
Dieses Stück fordert natürlich einen deutlich freiere Herangehensweise: eine aufgebrochene Time, schnelle Tempi, eine freiere Begleitung und eine weniger harmonische, dafür mehr motivisch-thematisch angelegte Improvisation. Calderazzo hat hier die Glegenheit zu einem energetischen Schlagzeugsolo.
Blues a la Carte“ ist eines der seltener gespielten Stücke von Wayne Shorter. 1959 aufgenommen, ist es dem Debut-Album „Introducing“ entnommen. Die vorliegende Version kommt dem Original, damals mit der Miles Davis Begleitband aufgenommen, sehr nahe, verdeutlicht die musikalischen Wurzeln Dudeks, verdeutlicht aber auch seinen eigenständigen Sound und sein ihm eigenes Improvisationskonzept. Interessant ist auch Improvisationfolge, bevor Gerd ausgiebig zum Zug kommt, erleben wir zunächst ein brilliantes Basssolo von Oli Hayhurst.
Wie eingangs erwähnt, befinden sich auf der CD Stücke, die den Brückencharakter zwischen Tradition und Moderne symbolisieren. So ist es auch bei der Mingus-Komposition „Duke Ellington’s Sound of Love“. Es lohnt sich wirklich, ein wenig Nachforschung zu betreiben. Mingus war ein großer Ellington-Fan. Seine Einspielung von „Money Jungle“ zusammen mit Ellington und Max Roach ist Jazzlegende. Die vorliegende Komposition nimmt darauf Bezug, wurde aber erst 1974 aufgenommen. Interessant ist vor allem hier das Themenende, das ein Zitat aus „Lushlife“ enthält. Die Ballade beginnt in der Dudek-Version mit einer freien Klavierfantasie um dann in das Thema mit Tenorsolo über zu gehen.
Dass der Blues in wichtiges Grundelement des Jazz ist, macht Coltranes „Blues to You“ deutlich. Wir erleben Gerd Dudek up-tempo, im Trio ohne Klavier, auf einer wirklich atemberaubenden Tour de Force. Auch im Blues gibt es für ihn keine harmonischen oder melodischen Grenzen. Fantastisch, was man aus 12 Takten machen kann ...
„We salute the Night“ und „Fedora“ sind Stücke des kürzlich verstorbenen Kenny Wheeler. Die Wahl dieser Stücke mögen eine Verneigung vor einem herausragenden Komponisten, Trompeter und Freund sein. Ungewöhnlich ist auch die letzte Komposition „Der Tag mit seinem Lichte“. Koller hat das Stück neu arrangiert. Es ist dem Choral- und Kantatenwerk Bachs entnommen, bezieht sich dabei auf das Kirchenlied von Paul Gerhardt. Hier hören wir Dudek auf dem Sopransax. Er geht die Musik sehr ruhig und spirituell an und wird so der Grundaussage des Chorals gerecht. Diesem bewegenden Stück am Schluss der CD möchte ich noch das Gedicht von Alexander von Schlippenbach hinzufügen, das auf dem Cover zu lesen ist:
Dudek ist der Auserwählte
dem’s der Herr im Schlaf gegeben hat.
Auf dem Saxofon, der Klarinette und der Flöte
spielt er Alles,
auswendig und auch vom Blatt
Und wenn er erst imp(a)rovisiert
Abgefahren, schön und kultiviert,
halten wir den Atem an
und lauschen, stimmen überein:
Ihm gebührt der Heiligenschein!
Gerd Dudek Day and Night - psi records 12.05