Gelingende liaisons franco-allemandes
Die Neuerscheinungen Tandem und Sfumato
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker |
Zur gleichen Zeit werden bei ACT zwei CDs veröffentlicht, die das in Jazzkreisen nicht unbedingt stark verbreitete Zusammenspiel von französischen und deutschen Musikern demonstrieren: Tandem mit dem in Frankreich durchaus geschätzten Pianisten Michael Wollny und dem Akkordeonisten Vincent Peirani. Letzterer wiederum tritt als Gast beim Emile Parisien Quintet in der CD Sfumato auf. Dieses Quintett des französischen Jungstars am Saxophon wiederum umfasst neben dem Gitarristen Manu Codjia, dem Bassisten Simon Tailleu und dem Drummer Mario Costa als „Carte blanche“ den deutschen Altmeister des Jazzpianos und erklärtes Vorbild von Michael Wollny: Joachim Kühn. Dieser kann wiederum auf eine über 30-jährige Zusammenarbeit im Dream-Trio mit der französischen Schlagzeuglegende Daniel Humair zurückblicken, der seit Jahren mit Emile Parisien im Quartett Sweet & Sour zusammen spielt...
Genug der interessanten sozialen und musikalischen Verflechtungen. Beiden Alben gemeinsam ist – bei der jeweiligen Besetzung auch nicht verwunderlich – ein hohes Maß an erkennbarer Spielfreude, an spielerischen und stilistischen Einfällen über Genregrenzen hinweg, an Virtuosität, an gemeinsamem Verständnis und darauf basierender gelingender Interaktion der Musiker.
Das länder- und generationsübergreifende Projekt Sfumato wartet mit einer großen kleinen Besetzung auf, das Quintett wird sogar in der Suite Le clown tueur de la fête foraine I – III und in dem fast als Big Band klingenden Umckaloabo von Vincent Peirani am Akkordeon und der französischen Jazzikone Michel Portal, dem Mentor von Emile Parisien, an der Bassklarinette unterstützt. Anders als der italienische Albumtitel (dt.: verschwommen, nuanciert, verklungen, abgeklungen) nahelegt, sind alle Stücke der CD ausgesprochen klar konturiert und selbst in den superschnellen Passagen und Soli präzise gespielt. "Verschwommen“ sind die Genregrenzen, über die sich die Musiker souverän hinwegsetzen: Das Album beginnt mit einem ruhigen Préambule in Moll mit einer wunderbaren Klagestimme auf dem Sopransax von Emile Parisien – ähnlich wie in dem meditativ-bluesigen Balladibiza I. Dass Emile Parisien und Joachim Kühn trotz ihres Altersunterschiedes ideale geistesverwandte Spielpartner sind, zeigt sich vor allem in den Uptempo-Nummern (Poulp, Le clown tueur de la fête foraine III, Balladibiza I), in denen der deutsche Tastenberserker sich genauso energiestrotzend austobt wie der französische Jungstar am Saxophon mit seinen stupend schnell und genauso präzise geblasenen Soli ( (Duet for Daniel Humair, Umckaloabo). In der dunklen rockigen Ballade Brainmachine wechselt Parisien zum Tenorsaxophon. Gitarrensoli von Manu Codjia (Arôme de l’air, Balladibiza I) im weiten Hallraum geben den Stücken zum Teil einen sphärischen Touch. Die dreigeteilte Suite Le clown tueur de la fête foraine beginnt mit einer ruhig-melancholischen Melodielinie von Peiranis Akkordeon, die sich zu einem Tanz weiterentwickelt. Im zweiten Teil bläst Michel Portal ein berührendes Solo auf der Bassklarinette, das im Tempo- und Stilwechsel zu einem eher rockigen Gitarrensolo mutiert, während im dritten Teil Parisien über einem schnell gespielten Rhythmus ein hochvirtuoses Solo bläst.
Anders als das energiestrotzende und z.T. eruptive Sfumato entwickeln Michael Wollny und Vincent Peirani in der Duo-CD Tandem einen stilleren, feingeistigeren Dialog, der seine energetische Spannung aus dem Wohlklang speist, obwohl beim Pianisten wie bei Akkordeonisten unter der Oberfläche durchaus auch Magma brodelt.
Das Album besteht jeweils aus zwei Eigenkompositionen, der Rest vom Ausgangspunkt her aus Fremdmaterial, das sich aus ausgesprochen heterogenen Quellen speist: Die Bandbreite reicht von den durch die Akkorde schwebenden und allmählich zur melodiösen Stimme findenden Song Yet Untitled vom Schweizer Vokalartisten Andreas Schaerer, über das traurigschöne Adagio For Strings von Samuel Barber oder dem Björk-Klassiker Hunter in einer energischen Version, Vignette von Gary Peacock, dem einzigen „Jazzer“ in der Ahnengalerie, der ruhigen Hymne Fourth Of July von Sufjan Stevens mit einem orgelgleichen Akkordeon bis hin zu dem temperamentvollen Tango Travesuras von Tomás Gubitsch. In den beiden Kompositionen von Michael Wollny (Bells und Sirènes) gibt der Pianist mit schnellen disharmonischen Läufen bzw. dem eher zurückhaltenden Ostinato die experimentierfreudige „tastende“ Grundstruktur des Stücks vor, in das die Stimme des Akkordeons sich im Diskant wie Orgelpfeifen einfügt bzw. die dominante Rolle übernimmt. Uniskate aus der Feder von Vincent Peirani ist rhythmischer gehalten und vermittelt eher den mediterranen Geist einer fröhlich-offenen Lebenslust, die sich gegen Ende des Stücks zu einer ruhigen Nachdenklichkeit formt. Auch die andere Peirani-Komposition Did You Say Rotenberg? erweist sich als eine Musik, die tief in der französischen Akkordeon-Tradition verwurzelt ist und beiden Musikern Gelegenheit zu virtuosen Improvisationen gibt.
Tandem ist insgesamt ein Beispiel einer im Wesentlichen ruhigeren Interaktion von zwei Lyrikern in der Musik mit hoher wechselseitiger Einfühlung, die ihre für ein Duo eher ungewöhnliche Instrumentierung als eine natürlich-stimmige Besetzung erscheinen lassen, die dabei die verschiedenen Klangräume ihrer Instrumente und ihre musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten in des Wortes doppelter Bedeutung harmonisch aufeinander beziehen und dabei auch durchaus auch temperamentvolle Ausbrüche entfalten.
Beide Neuerscheinungen geben Zeugnis einer gelingenden deutsch-französischen Verständigung, zumindest auf musikalischer Ebene scheint der kulturelle Austausch von Europäern bestens zu funktionieren.
Emile Parisien Quintet with Joachim Kühn: Sfumato. ACT 9837-2
Michael Wollny & Vincent Peirani: Tandem. ACT 9825-2