Fosterchild
Dear Earthling
TEXT: Dr. Michael Vogt |
Ins Nichts verhaucht: Auf ihrer neuen, im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks aufgenommenen CD "Dear Earthling" entführt das Ensemble "Fosterchild" in berückende Spähren:
Ein bekanntes Science-Fiction-Sujet: Eine außerirdische, hochentwickelte Zivilisation trifft auf staunende (und verunsicherte) Erdbewohner, die angesichts der Überlegenheit der Neuankömmlinge mit ihren technologischen, moralischen und spirituellen Defiziten konfrontiert werden. Möglicherweise hat das Ensemble „Fosterchild“ an solche Szenen gedacht, als es den Titel seines Albums wählte. „Dear Earthling“ präsentiert zehn Kompositionen, in denen die Außerirdischen, um im Bild zu bleiben, wohlwollend auf die Erdenbewohner zugehen und diese – rein musikalisch – in andere Sphären entführen. Auf ihrer im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks in Köln aufgenommenen CD skizzieren die in der Domstadt lebenden Bandleader Fabian Arends (drums) und David Helm (bass) zusammen mit Sebastian Gille (saxophone), Kasper Tranberg (trumpet), Jacob Anderskov (piano) und David Helm (bass) musikalische Strukturen in einem Vexierspiel aus Improvisation und Ordnung, Eindeutigkeit und kreativem Zwielicht.
Bewusste Irritationsmomente
So beginnt das Album mit Anderskovs Komposition „Turquoise“ ausgesprochen progressiv und abstrakt. „Opal“ lädt dazu ein, sich auf die hypnotisierenden Spektralfarben einzulassen, die über dem nervösen Pulsschlag des Schlagzeugs schillern. Im Laufe von „Two Is The Company“ bahnt sich eine Auseinandersetzung zwischen den gleißenden Leuchtspuren der scheinbar wild improvisierenden Trompete mit den düsteren Klangflächen des Ensembles an. Freie Tonalität und bewusste Irritationsmomente prägen die Nummer „Charade“ (Arends). In ihr münden unerwartete Wendungen, repetitive Muster, dahineineilende Tonkaskaden und geschwätzige Passagen in den Ruhepunkt einer poetischen Klavierszene, die sich im Dialog mit den anderen Instrumenten fast romantisch ins Nichts verhaucht. Eine deutliche Beruhigung bringt das Stück „Agate“ (Anderskov) mit seinen lyrischen Melodiefragmenten. Überhaupt bewegt sich die Musik im Laufe des Albums zunehmend in vertrauter scheinenden Fahrwassern und bedient sich aus einem heterogenen Repertoire aus Erinnerungen und Anspielungen. In „Gone/Gold“ (Arends) werden nostalgische Cool-Jazz-Anklänge laut. „Is This The End“ (Gille) und „No. 12“ (Arends) wecken gar Erinnerungen an Standards, die man vor langer Zeit einmal gehört und fast vergessen haben könnte. „Dear Earthling“ ist ein faszinierendes Spiel mit der Freiheit, die sich aus der Bandbreite an zeitgenössischen Tendenzen im progressiven Jazz ergibt.
CD
Fosterchild: Dear Earthling
Label: ILK music, 2019