Flamenco Jazz
Bernard van Rossum Flamenco Bigband
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Helios
Ein Holländer spielt Flamenco mit einer Jazz Bigband – wie geht das zusammen? Bernard van Rossum hat als Kind lange in Spanien gelebt und das ist wohl nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Zum Glück. Denn was seine Flamenco Big Band an den Tag legt, ist phänomenal.
BVR Flamenco Big Band feat. Carles Benavent (Juni 2019) Bimhuis/Amsterdam
Hier sehen und hören wir drei Stars der Bigband in Aktion: die Sängerin María Marín, den Bassisten Carles Benavent und Bernard van Rossum himself als Komponist, Dirigent und am SopranSax.
- Flamenco Jazz
Seit fast 200 Jahren singt und spielt man Flamenco, vor allem in Andalusien. Lange wurde er als eine Art exotische Volksmusik gesehen, die aber 1875 mit Bizets Carmen in romantisierter Form viel Beachtung fand. Der Spielfilm Carmen (1981) des Regisseurs Carlos Saura löste auch in Deutschland eine Begeisterung aus, die u. a. zu einer Welle von Anmeldungen zu Flamenco-Tanzkursen führte. Als Flamenco Nuevo erfuhr diese Musik auch in Spanien eine Renaissance und wurde vor allem mit Paco de Lucía verbunden, später auch mit anderen Genres kombiniert. Friday Night in San Francisco mit John McLaughlin, Paco DeLucia und Al DiMeola war 1981 zwar ein großer Erfolg, aber Flamenco Jazz war das noch nicht.
In der 80ern war viel los. Raimundo Amador spielte Flamenco Blues, Gruppen wie Triana, Alameda und CAI erfanden in den 80ern den Flamenco Rock. Zu den Flamenco Jazz-Pionieren zählt vor allem der Pianist Chano Domínguez, der vorher bei CAI spielte. Andere wie Gerardo Núñez, Javier Denis und Juan Cortes folgten ihm, Antonio Lizana ist ein Vertreter der jüngeren Flamenco-Generation.
Die WDR Bigband hatte schon 1993 das Album JAZZPAÑA mit Michael Brecker, Al Di Meola u. a. aufgenommen, 2011 erschien Soleando mit Chano Domínguez, doch eine Synthese von Flamenco und Bigband Jazz gelang noch nicht so richtig. Bei JAZZPAÑA II spielte man nur noch in kleiner Besetzung. Inzwischen ist Flamenco Jazz als eigenständiges Subgenre des World Jazz anerkannt.
- BvR Flamenco Big Band: Holland + Andalusien
Holland und Flamenco - wie geht das zusammen? Immerhin waren die Niederlande 150 Jahre lang spanisch, doch das ist schon lange her und wahrlich keine Erfolgsgeschichte. Das Flamenco-Projekt des Holländers Bernard van Rossum (BvR) ist aber eine Bereicherung für die Niederlande, die hier wieder ein wenig 'spanisch' werden, aber nur in musikalischer Hinsicht.
BvR leitet, komponiert und arrangiert die BvR Flamenco Big Band. Er wurde in Spanien als Sohn einer englischen Mutter und eines holländischen Vaters geboren und ist dort aufgewachsen. Nach einem Abschluss in Biologie studierte er in Barcelona und Amsterdam Saxophon. Er unterrichtet am Conservatorium in Amsterdam, als Gastdozent auch in Spanien und Mexiko.
Vor ca. 10 Jahren hat er die BvR Flamenco Big Band gegründet. Schon die ersten beiden Alben „Jaleo Holandés“ (2015) und „Luz de Luna“ (2017) waren erfolgreich. Oft wechseln sich dabei Flamenco- und Jazzpassagen noch ab oder der Bigband-Sound wird einfach von 'palmas' begleitet.
Das 3. Album Del Río A La Mar ist im Oktober erschienen. Gäste sind Carles Benavent (E Bass), Antonio Serrano (Harmonica), Tete Leal (Flöte) und Rafael de Utrera (voc). Besonders interessant ist der weißhaarige Katalane Carles Benavent, den wir auf dem Video oben sehen. Er ist ein Bassgitarrist des Fusion Jazz und hat auch Gruppen des Flamenco Nuevo geprägt. Schon in den 80ern hat er mit Paco de Lucía und Camarón de la Isla gespielt, dann später mit Chick Corea zwei Alben aufgenommen. Auch bei JAZZPAÑA war er schon dabei.
- De Perdidos Al Río - Del Río A La Mar
'A tu Vera' – 'An deiner Seite' singt María Marín und der Text erinnert an spanische Lyriker wie Juan Ramón Jiménez. Mit diesem lupenreinen Flamenco beginnt das Album und man fühlt sich unmittelbar an berühmte Sängerinnen wie Lole (y Manuel) erinnert. Bruno Calvo setzt mit einem Solo an der Trompete ein, dann spielt Jasper van Damme am AltSax und nun wird der Flamenco sehr jazzig. Ein gelungener Einstieg.
'Flamenco Jazz': Was macht den Jazz aus, was den Flamenco? Soli, Dynamik und Sound stehen für den Jazz, palmas, jaleos, seine Melodik, vor allem beim berühmten 'Cante Jondo', für den Flamenco. Doch die Elemente sind im neuen Album nicht additiv angelegt. Es handelt sicht nicht um eine Mixtur, sondern um eine Symbiose, die in vielen Stücken sehr gut gelungen ist. Es ist schon eine Kuinst, den 'Beat' der Palmas und die Swing-Phrasierung zu kombinieren.
Alegrias De Alba ist sehr komplex. Nach einem Piano Intro setzen Melodien ein, die nicht flamencotypisch sind. Rafael de Utrera singt einen traditionellen Text im klassischen Flamenco-Stil, nach einer Weile fühlt man sich stark an Paco de Lucías A la Perla de Cádiz erinnert. Nach einem TenorSax Solo von Hristo Goleminoy nimmt die Band Themen des Anfangs wieder auf.
Eine Bulería ist ein meist schnell gespielter, fröhlicher und populärer 'palo' des Flamenco. So auch die Bulería Cromática, begleitet von Tete Leal an der Flöte und Pablo Martínez an der Posaune.
Del Río A La Mar ist das zentrale Stück des Albums, durchzogen von Palmas. Nach einem Bläser-Intro singt María Marín den Text:
Fuente que cuando fluye siente
que sus aguas cantan una canción de verso y corazón
vientos que traen de nuevo cuentos
de gaviotas blancas que al volar las olas quieren robar
y al cielo regalar
y las lluvias sabrán a horizonte y sal
un camino al azar siempre encontrarán
como el río que lleva a la mar.
Im Text geht es um das Wasser als Symbol des Lebens. Es kommt aus der Quelle und fließt über den Fluss zum Meer. Ganz poetisch wehen Winde Geschichten von weißen Möwen heran, die die 'Wellen rauben' und 'dem Himmel schenken' möchten. Mit den Wolken und dem Regen, der nach Horizont und Salz schmeckt, gelangt das Wasser wieder zurück zum Fluss und zum Meer, das in dieser poetischen Form femininen Charakter hat ('La Mar').
Sam Newbould und Bernard van Rossum schwelgen hier abwechselnd in ihren melodischen Soli auf dem Alt bzw. dem Tenor Sax. Noch einmal hören wir den Text, nun mit der Begleitung der Bigband, die sowohl dem Swing wie dem Flamenco verpflichtet ist.
Um einen Fluss geht es auch in De Perdidos Al Río. Carles Benavent hat das Stück komponiert. Der Bass ist während des ganzen Stücks präsent und natürlich liefert er ein Solo, das sich gewaschen hat, Xavi Torres spielt sich mit einem Piano Solo in den Vordergrund. „De perdidos al río“ ist eine spanische Redewendung. Es geht dabei darum, Verluste in Kauf zunehmen, um schließlich doch sein Ziel zu erreichen. Und so endet das eher melancholische Stück triumphal auf der Quinte.
Das Album zeichnet sich auch durch eine besondere Vielfalt der Stücke aus, die nicht immer streng am Flamenco orientiert sind. En Tus Pasos Me Crucé ist eher ein wehmütiger Bolero. Blues For Antonio ist zwar kein klassischer Blues, hat aber ein ähnliches Feeling, wofür besonders das Mundharmonika-Solo von Antonio Serrano sorgt. Dabei erinnert der Sound der Trompete von Gidon Núñez Vas zwar an Freddie Hubbard, doch die unzähligen Wiederholungen der immergleichen Läufe nerven. Mit Oro Y Marfil und traditionellen lyrics schließt das Album wieder mit einem palo.
Die Bigband spielt am 30. Januar in Donostia, aber wer fährt mal eben ins Baskenland? Leider ist die Band nur in NL und Spanien unterwegs. Wie wärs mal in NRW? Ist ja nicht weit!
Bernard van Rossum Flamenco Bigband – Del Rio A La Mar
Zennez Records / Berthold Rec / 9789083248820 / Vertrieb: Cargo
VÖ: 7.10.2022