Essen und Musizieren als kollektive Magieerfahrung
Jazz Soup. Ein Film über The Dorf
TEXT: Heinrch Brinkmöller-Becker | FOTO: Heinrich Brinkmöller-Becker
Jan Klare, „sein“ 30-köpfiges Orchester The Dorf oder dessen Musik brauchen wir hier nicht mehr vorzustellen, The Dorf und der in Münster lebende Saxophonist, Komponist und Bandleader sind an dieser Stelle häufig besprochen, seine Musik und sein Engagement in welcher Konstellation auch immer vielfach gelobt worden. Es gibt jetzt eine willkommene Möglichkeit, das Besondere, ja Magische dieses seit 2006 bestehenden musikalischen Groß-Experiments von Jan Klare und seinen Mitstreitern durch einen hochinteressanten Film kennenzulernen und einige Hintergründe von The Dorf besser zu verstehen. Der Dokumentarfilm Jazz Soup. Ein Film über „The Dorf“ von Regisseur Jorgos Katsimitsoulias, Produzent Ilias Ntias und Alexander Kersting als Künstlerischem Leiter wurde in wenigen Programmkinos und 2014 auf dem Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest gezeigt, jetzt hat man die Möglichkeit, ihn auf DVD zu sehen.
Der fast 80-minütige Dokumentarfilm arbeitet ausschließlich mit „unperfekten“ Schwarz-Weiß-Bildern – wer würde bestreiten, dass Schwarz-Weiß die „Farbe“ des Jazz ist. Geschickt und stimmungsvoll montiert der Film Bildsequenzen von Fahrten mit der Suppe – dazu gleich mehr - , vom Bühnenaufbau, von Proben, von Konzerten vor allem im Dortmunder domicil und beim Moers Festival und nicht zuletzt von Interviews mit Jan Klare. Elemente eines Road Movies werden so verbunden mit der Darstellung des Ortkolorits, der Vorbereitung des gemeinsamen Musizierens, des (Selbst-)Verständnisses des Bandleaders. Und die Musik von The Dorf kommt bei alledem nicht zu kurz, in mehreren langen Sequenzen wird das gemeinsame Musizieren der Groß-Band vorgeführt. Kameraführung und Schnitt vermitteln ein abwechslungs- und facettenreiches Gesamtbild des Konzertierens: Totalen mit der wirklich üppigen Besetzung neben den Bläsern, Bassisten, Drummern, Gitarristen, Streichern und Perkussionisten jeweils in mehrfacher Besetzung wechseln mit Einstellungen, die einzelne Musiker, einzelne Instrumentengruppen, Detailansichten von Instrumenten fokussieren und zum Teil auch in Unschärfe belassen. Die Musik ist häufig nicht nur in entsprechender Bild-Ton-Synchronität zu erleben, sondern oft bildet sie im Off den Hintergrundton für andere Bildsequenzen, der Wechsel mit passenden Überblendungen erzeugt einen angenehmen Erzählfluss. Überhaupt setzt Jorgos Katsimitsoulias seine filmsprachlichen Mittel ausgesprochen vielseitig und raffiniert ein. Gut, einige handwerkliche Dinge wie „ausgefressene“, d.h. zu hell belichtete Bildbereiche v.a. bei Gesichtern und andere Überbelichtungen stören, oder der Erzählrhythmus im Wechsel von Interviewszenen und denen der Musikperformanz könnte einheitlicher gestaltet sein. Manche Szenen sind auch etwas zu stark vom Zeigecharakter geprägt, etwa wenn Jan Klare im Interview eine Aussage über die Reaktion des Orchesters auf sein Dirigat macht und im nächsten Bild seine Handbewegung im Konzert dies belegt. Der häufige Einsatz von rückwärts laufenden Bildsequenzen wirkt manieriert und überflüssig. Insgesamt jedoch überzeugt der Erstlingsfilm des Regisseurs voll und ganz, er findet ästhetisch ansprechende und zur Musik und ihrer Produktion ausgesprochen passende Bilder. Diese werden geschickt montiert und so verdichtet, dass Atmosphäre und Selbstverständnis des Orchesters und seines Leiters deutlich werden. Letzterer kommt ausgiebig zu Wort, Jan Klare erläutert in der für ihn typischen etwas vertrackten Weise die Frühgeschichte von The Dorf, wobei er auch offen die Anfangsschwierigkeiten einer solch großen Gruppe von Einzelkünstlern benennt. Erfrischend sind seine geradezu pathetischen Bekenntnisse, ja, er spricht von „Liebe“, von der Faszination des „Raumschiffes The Dorf“, von der Sucht, gemeinsam Musik zu machen und dabei „magische Momente“, Glücksgefühle beim perfekten Augenblick in einem Konzert zu entwickeln. Nicht ein kommerzielles Interesse, nicht das Produkt, sondern der kommunikative Prozess, das Einordnen auch der individuellen Charaktere in das Gesamte stehen im Vordergrund. Die Interviewbeiträge mit Jan Klare wirken ausgesprochen authentisch. Genau wie seine im Film zum Teil im Zeitraffer und in Zeitlupe dokumentierte Körpersprache, mit der er – das ein Hauptanliegen von ihm und wohl auch des gesamten Orchesters – den Musikern ein Höchstmaß an Energie entlocken möchte wie übrigens auch sein tänzelnder Körpereinsatz beim Dirigieren. Musikmachen mit The Dorf setzt Jan Klare einer „Utopie von Kommunikation“ gleich. Dazu gehört eben auch das gemeinsame Essen, das, wie eine Parallelmontage zeigt, mit dem gemeinsamen Musizieren eine Einheit, ein kollektives Ritual bedeutet. Die Suppe dazu zaubert Jan Klares Frau Margo, der Transport mit dem Auto von Münster nach Dortmund ist dabei nicht immer ganz einfach, die Suppe schwappt bei der Überfahrt auch mal über.
Jazz Soup ist ein dichter, filmsprachlich stimmiger Musikfilm eben über die „kollektive Entgrenzung“ (Jan Klare), der die Magie von kollektiv gespielter Musik stimmungsvoll zu vermitteln versteht. Der Film macht Lust auf ein Live-Erlebnis mit The Dorf.