Ernest Bornemann
Ein Klassiker der internationalen Jazzforschung
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Wallstein Verlag
Ernest Bornemann war der erste deutsche Jazzkritiker von internationalem Format. Er war von 1947 bis 1949 Paris Korrespondent des Down Beat, schrieb für den Londoner Melody Maker und hat in den 60er Jahren für Radio Bremen die legendäre Sendung „Beat Club“ konzipiert.
Als Jazzkritiker ist er zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Im kollektiven Gedächtnis der
Deutschen und auch der Österreicher ist er als Sexualwissenschaftler oder viel profaner, als Sex Ratgeber abgespeichert. Als er Pfingsten vor 20 Jahren seinem Leben ein Ende setzte, titelte die Bildzeitung: „Junge Geliebte lief weg. Sex Papst Professor Bornemann vergiftet sich.“
Der Historiker Detlef Siegfried hat zum 100. Geburtstag von Ernest Bornemann eine Biografie geschrieben, die dem Leben dieses Hans Dampfs in allen Gassen nachspürt.
Siegfried ist eher zufällig auf Bornemann gestoßen, als er in einer anderen Sache recherchierte und feststellte, dass die legendäre Fernsehsendung „Beat Club“ ursprünglich von Bornemann konzipiert wurde.
Ein Biograph hat es mit Bornemann nicht leicht. Der geniale Autodidakt hat zeitlebens Abschnitte seiner Biographie erfunden, um sich den Anschein einer akademischen Bildung zu geben. So ist es für Siegfried oft nicht einfach, Tatsachen von Legenden zu scheiden.
Dabei ist das Leben von Bornemann auch ohne alle selbstgefälligen Übertreibungen ein spannendes Stück Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Schon mit dem Titel der Biographie: „Moderne Lüste“macht der Autor deutlich, dass Bornemann ein sinnlicher Mensch war, der sich mit den modernen Lüsten in unserer Kultur tiefgehend beschäftigt hat.
Detlef Siegfried teilt das Buch ist in drei Abschnitte auf: Hören, Sehen und Fühlen. In diesen Abschnitten werden die drei zentralen Themen in Bornemanns Leben beschrieben. Das Kapitel Hören behandelt seine Liebe zum Jazz, die ihn zum ersten deutschen Jazzkritiker von internationaler Geltung werden ließ. Im Kapitel Sehen wird sein großes Interesse am Film geschildert. Bornemann drehte Filme für den National Film Board in Kanada, schrieb Musical Filme für den BBC, arbeitet mit dem berühmten Filmemachers Orson Wells (“Citizen Kane“) zusammen und war an der Vorbereitung des sogenannten “Adenauer Privatfernsehen“ beteiligt, dass durch eine Verfassungsklage der SPD gestoppt wurde. Der Abschnitt Berühren behandelt den letzten Teil der schillernden Karriere von Ernest Bornemann, seine Tätigkeit als Sexualwissenschaftler und Sex Ratgeber. Bornemann war neben Oswalt Kolle sicher der bekannteste Sexualberater in Deutschland und Österreich.
Für Freunde des Jazz ist natürlich besonders der erste Abschnitt interessant. Er gibt Einblick in die frühe Forschungs – und Rezeptionsgeschichte des Jazz. Bornemann der als junger Kommunist aus Deutschland nach London geflohen war, setzte sich mit der damals existierenden Jazzkultur auseinander.
Die LeserInnen erfahren viele historische Details, die heute kaum noch bekannt sind. So gab es z.B. in den 30er Jahren ein Auftrittsverbot für ausländische Jazzbands in England, dass von der Musikergewerkschaft erwirkt wurde, um ausländische Konkurrenz auszuschalten. Das hatte zur Folge, das in England die afroamerikanischen Musiker weitgehend unbekannt waren.
Jazz war in England eine Gegenkultur, die vor allem von der politischen Linken gespeist war. Es gab in London Jazzclubs die zum Umfeld der Kommunistischen Partei gehörten. Bornemann verkehrte mit linken Intellektuellen und schwarzen Revolutionären aus den Kolonien, wie C.L.R. James oder Jomo Kenyatta, dem späteren Präsidenten von Kenia. Für den BBC schrieb Bornemann eine dreiteilige Serie über Jazz, unter dem Titel “Outlaw Ballads“.
Zu Kriegsbeginn wurde er ais deutscher Staatsbürger in Kanada interniert. Dort schrieb er weiter über Jazz und drehte Filme gegen das Hitlerregime.
Bornemann veröffentlichte 1944-45 eine einflussreiche und vielbeachtete Fortsetzungsserie in der Zeitschrift “The Record Changer“ unter dem Titel: “The Anthropologist Looks At Jazz.“ Darin betonte er, als einer der ersten Kritiker, die afrikanischen Wurzeln des Jazz. Aber nicht die Rasse bildete für Bornemann die Grundlage des Jazz, sondern die sozial-ökonomischen Gesellschaftsbedingungen..
Gleichzeitig war Jazz für ihn mehr als nur Musik. Er behandelte den Jazz als ein Kulturphänomen, zu dem eine bestimmte Kleidung, ein besonderer Slang usw. gehörten. Jazz hatte für Bornemann eine eminent politische Bedeutung, als Ausdruck des Widerstands gegen Rassismus und Unterdrückung.
Kunst und Politik waren für ihn nicht zu trennen.
Anfang bis Mitte der 70er zieht sich Bornemann dann von seiner Tätigkeit als Jazzkritiker zurück. Vorausgegangen waren heftige Auseinandersetzungen, unter anderem mit dem afroamerikanischen Autor LeRoy Jones (Amiri Baraka), in denen Bornemann sich von den selbstbewussten Vertretern der Black Power Bewegung gründlich missverstanden fühlte.
Für Siegfried ist Ernest Bornemann "ein Klassiker der internationalen Jazzforschung, wenn auch ein heute weitgehend vergessener.“
Detlef Siegfried ist mit seinem Buch „Moderne Lüste“ nicht nur eine spannende Biographie eines Mannes gelungen, in dessen Leben sich die moderne Kultur des 20. Jahrhundert widerspiegelt, sondern auch ein Buch über wichtige Bereiche der sinnlichen Erfahrung dieser Moderne, die der Jazz masgeblich mitgeprägt hat.
Detlef Siegfried, Modern Lüste
Ernest Bornemann - Jazzkritiker, Filmemacher, Sexforscher
Wallstein Verlag, 2015, 455 S. mit Abblidungen, ISBN 978-3-8353-1673-7