Enrico Pieranunzi
The real you, like Afterglow
TEXT: Peter E. Rytz |
Wer eine Aufnahme des Pianisten Enrico Pieranunzi in den Player legt, weiß verlässlich, was ihn erwartet. Keine erodierende Unruhe, keine ins Offene formulierte Ungewissheit, kein klagendes Zögern. Er baut sinnlich lyrische Klangräume in traumwandlerischer Ausgewogenheit. Alles so schön soft, melancholisch gerahmt. Pantha rei: Ein von verschwenderischem Glück beleuchtetes Fließen.
Hochromantisch, mitunter in allzu wohlgefälliger, manchmal mit etwas zu dick aufgetragener Selbstzufriedenheit, hört man ihm entspannt und unbeschwert, gleichsam somnambul schwebend, mit einem guten Glas Rotwein in der Hand gern zu.
Klassisch ausgebildet, ist Pieranunzi kein leichtfertiger oder gar leichtgewichtiger Grenzgänger. Ihm gelingen musikalisch souveräne, authentisch deklinierte Ausdrucksformen, ohne angestrengt bemüht zu sein, Klassik mit Jazzfacettierungen, respektive vice versa vordergründig aufzupolieren. SeinKlavierspiel verbindet barocke Klassik eines Domenico Scarlatti als auch eines Johann Sebastian Bach (beide 1685 geboren!) mit den Jazzphrasierungen eines Chet Baker, eines McCoy Tyner und vor allem eines Bill Evans.
Die vorliegenden Einspielungen The real You (mit dem enigmatisch artikulierenden Bassisten Thomas Fonnesbæk) und Afterglow (mit dem empathisch abgestimmt intonierenden Trompeter und Flügelhornspieler Bert Joris) lassen Pieranunzis entsprechende Assoziations- und Reflexionshintergründe hörbar werden. Scarlattis und Bachs Sonaten-Kantabilität mit gebrochenen Akkorden, Bakers unkonventioneller Cool-Jazz-Attitüde, Tyners melodischer Einfallsreichtum, verbunden mit einem ungewöhnlichen Cluster-Formsinn, sowie last but not least Evans mit seiner introvertiert lyrischen Sensibilität als stilbildende Klavier-Ikone des Modern Jazz prägen Pieranunzis Spiel bis in diese Aufnahmen.
Eine grundierte Ernsthaftigkeit
Unterschiedlich in der Duo-Besetzung, unterschiedlich, sogar gegensätzlicher (im Pieranunzi-Klangkosmos) in seiner grundierten Ernsthaftigkeit, verbindet der auf beiden CDs eingespielte Song The real You sie miteinander.Diesen Song kann man als eine andauernde Suche nach dem wahren Gesicht hören und verstehen.
Evans häufig bescheinigte Nähe zu dem impressionistischen Sentiment von Claude Debussy und Maurice Ravel ist unbedingt im besten Sinne eigenständiger Ausdeutung auch auf Pieranunzi zu münzen. Akkordreihungen im Dialog von Sehen und (Klang)Malen mäandrieren formschön mit Fonnesbæk. Im Zusammenspiel mit Joris schimmert das wahre Gesicht Aftergrow like im dämmrigen Abendlicht.
Respektvoll und sorgsam mit viel Sinn für das Eigentliche, aufgeblendet als vorüberziehende Schatten (Passing shadows), begleitet von einem Aufeinander-aufpassen (I will look after You) in einem den Morgen hineinträumenden Zusammenspiel (Dreams and the morning/Interplay) mit Fonnesbæk. Spielerisch leicht, getragen von innerer Zufriedenheit, Bebop-Sound-Exkurse gefällig ausbreitend, haftet Afterglow mit Joris teilweise etwas Einschläferndes, Über-Beruhigtes an, als perlten vor den letzte Sonnenstrahlen am Horizont, bevor sie sich schließen.
Freiberuflich tänzelnd (Freelude), verhalten fragend nach dem What’s what, stimmen Klavier und Trompete unprätentiös ein hauchleises Wiegenlied an (Craddle song for Mattia).
The real You – A Bill Evans Tribute resümiert und charakterisiert mit dem letzten Song auf der CD Bill and Bach, verstanden als Hinweis, wo Pieranunzi seine Heimat hat. Im Gegensatz dazu ist allerdings Not found, der vorletzte Song auf der Afterglow-CD - so melancholisch trist er auch aufscheint -, nicht als endgültiges Votum zu verstehen: How could we forget? Kaum glaubt man, The real You gefasst zu haben, entzieht es sich auch schon wieder.
Rytz, 20.12.20
Enrico Pieranunzi / Bert Joris
Afterglow
Challenge Records
VÖ 15.1.2921
ENRICO PIERANUNZI & THOMAS FONNESBAEK – THE REAL YOU
Stunt Records Vertrieb: inakustik
VÖ 29.1.2021