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Die Musik zieht alle Künste groß

Michel Serres: Musik

Düsseldorf, 18.12.2015
TEXT: Uwe Bräutigam | 

Der französische Philosoph Michel Serres hat einen Text über Musik geschrieben. Das französische Original wurde bereits 2011 veröffentlicht, jetzt ist die deutsche Übersetzung im Merve Verlag Berlin erschienen.

Wenn man über dieses Buch spricht, dann muss gleich zu Beginn klar stellen, dass dies kein systematischer philosophischer Text ist, sondern eher frei assoziierte Poetik.

Die Gliederung des Buches lässt dies schon ahnen. Das Buch hat drei Kapitel:

Lärm – Legende; Stimmen – Wissenschaften; Wort – Geburt und Lobpreisung.

Der Ausgangspunkt des ersten Kapitels ist die griechische Mythologie. Orpheus lernt wie die neun Musen aus den undifferenzierten Geräuschen eine Sprache hervorbringen.

Nach Serres geht der Weg der Sprache über die Musik. Nicht nur die Sprache entwickelt sich aus der Musik, auch die Wissenschaften.

„Ja, die Musik geht sowohl dem Sinn als auch der Sprache voraus. Aber die vielfältigen Algorithmen, derer sie sich bedient, nehmen auch alle Mathematiken vorweg…“

Ein Grundgedanke des Buches ist, dass die ursprünglichen Geräusche der Welt chaotisch sind, und Musik eine formative Ordnung herstellt, aus der die Sprache und die Wissenschaften hervorgehen. Nun könnte man sich lange damit auseinandersetzen, wieso die ursprünglichen Geräusche dieser Welt chaotischer Lärm sind. Dies ist aber nicht die Vorgehensweise von Serres, stattdessen benutzt er mythische Bilder und poetische Analogien.

„Mit dem Auftauchen der Musik und dank der Arbeit der Musen, entzieht sich Orpheus der Hölle des Chaos`und des Tohuwabohus auf einer langen Reise um das entfesselte pythische und bacchantische Meer. Rhythmus und Harmonie der Musik befreien ihn von diesem Lärm.“

Das zweite Kapitel ist autobiographisch. Hier schreibt Serres über Kindheit und Werdegang. Wie er sich als Kind selbst Lieder ausgedacht hat. Und mit einem Ton des Bedauerns spricht er von einem Umfeld, das der Musik nicht zugetan war und er sich deshalb dem Schreiben zugewandte, dass „nur ein dürftiger Ersatz für das Komponieren“ sei. „Gekritzel und Schreibstil klingen wie eine missratene Partitur.“ Ein Philosoph mit einer überaus erfolgreichen internationalen Karriere sagt im Alter über sich: „Ich bin nur ein missratener Musiker.“ Spätes Bedauern oder eine Verbeugung vor der elementaren Größe der Musik?

Im dritten Kapitel wendet sich Serres der Bibel zu. Die Begegnung der schwangeren Maria mit ihrer ebenfalls schwangeren Cousine Elisabeth ist der Ausgangspunkt für Gedanken und Assoziationen zur Fleischwerdung des Wortes. Maria die Sängerin, die den Herrn lobpreist.

Jesus und Johannes der Täufer, die dritte große Erzählung.

In drei Kapiteln umkreist er das Thema und am Ende bleibt die Frage:

„Was ist Musik? Diese Akkretion. Die unendliche und von Flammen züngelnde Atmosphäre, in der das Konkrete fusioniert.“

Serres fasst seinen Text als einen Zusammenfluss von gegensätzlichen Elementen auf:

„- dieses Buch über drei Kindheiten, drei große Erzählungen, die als drei Rhapsodien erklingen, dieses Buch drei verschiedener Flüsse, die zur maximalen Information hinabführen, vermischt Kunst und Handwerk, Emotion und Vernunft, Körper und Seele, Wissenschaft und Religion: Skandal!“

Ein Skandal ist das Buch mitnichten. Aber die LeserInnen müssen sich auf die Vermischung all der genannten Zutaten im Text einlassen, sie müssen bereit sein Sprüngen und bloßen Behauptungen ohne Begründung zu folgen. Sie müssen sich auf einen Text einlassen, der die Musik als Grundlage von fast Allem sieht und sie mit Bildern, Mythen, Gedanken und Analogien umspielt, ohne ihr gerecht werden zu wollen.

Michel Serres: Musik, Übersetzt von Elisa Barth und Alexandre Plank.

2015, 168 Seiten, Buch: 16,00 €

ISBN: 978-3-88396-314-3

www.merve.de

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