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Die Geheimsprache des Blues von Robert Cremer

Die wahre Bedeutung der Songtexte

Zürich, 11.06.2022
TEXT: Heinz Schlinkert | 

I put a tiger in your tank’ sang Muddy Waters 1960 so eindeutig-zweideutig, dass die Firma ESSO daraus einen Reklamespruch machte. Blues-Texte wimmeln von Anspielungen, sind aber nicht immer so leicht verständlich. Wer weiß schon, was ein Coffee Grinder ist oder was schon 1922 unter Rock’n Roll verstanden wurde? Robert Cremer hat in der Züricher Edition Olms ein - inhaltlich und materiell - gewichtiges Standardwerk im DIN A4-Format verfasst: Die Geheimsprache des Blues - Die wahre Bedeutung der Songtexte, 844 Seiten lang und 2,5 kg schwer.

Das liest man nicht so nebenbei; muss man aber auch gar nicht, denn einen großen Teil des Buches, ca. 550 Seiten, bildet ein Lexikon mit Wörtern, Ausdrücken und Redewendungen. Nach einem Vorwort des US-Bluessängers Bobby Rush gibt der Autor in 12 Kapiteln themenorientierte Einführungen.

  • 12 Kapitel: Sex and Drugs, Voodoo und Glücksspiel, Alkohol und Verkehr und mehr

Das Einführungskapitel „Wenn ich kein Unglück hätte, hätte ich überhaupt kein Glück“ spielt an auf den Originaltitel ‚Born under a Bad sign‘ (If it wasn‘t for bad luck, I wouldn’t have had no luck at all).
Diesen Hinweis wird man zwar vergeblich suchen, obwohl er von Albert King stammt (1967). Im Buch geht es vor allem um den 'klassischen' alten Blues.

Im Kapitel über die ‘7 Siegel’ werden Strukturmerkmale des Blues dargestellt. Dabei stellt sich u. a. heraus, dass das oft verachtete 'Negro-English' auf die Sprache der weißen Plantagenbesitzer zurückgeht. Auch die Bedeutung der formelhaften Wendungen, um die es ja in dem Buch geht, wird anhand vieler Beispiele erläutert.

Wenn man die ersten Kapitel liest, könnte man meinen, es gehe im Blues nur um Sex. Dabei nimmt Robert Cremer kein Blatt vor den Mund, um zu erkären, was z. B. mit Honey gemeint ist. Im Kapitel über ‚Verkehr‘ geht es aber auch um Straßen und besonders um Züge, die gerade in der Depressionszeit so wichtig waren. Weniger bekannt sind die Themen Voodoo und Rassentrennung, die auch in den Texten eine Rolle spielen. In den 12 Kapiteln findet man zur Thematik jeweils viele Infos und auch schon hier viele Songtexte mit Übersetzungen. Allein diese 230 Seiten würden schon eine gute Blues-Monografie abgeben, aber es geht danach erst richtig los mit dem ...

  • Bluesverzeichnis von Ausdrücken und Redewendungen“

Es bildet mit ca. 550 Seiten den Kern des Buches. Hier kann man gezielt nachschlagen oder auch auf gut Glück mal reinschauen. ‘Moonshine’ z. B. bedeutet in Bluestexten “illegal gebrannter Schnaps”. Der Autor liefert über die ‘Übersetzung’ hinaus auch die Erklärung, dass in der Zeit der Prohibition nachts unterm Mondschein gebrannt wurde. Am Beispiel des Dry Spell Blues Part 1 von Son House wird das erläutert, wobei auch die große Bedeutung der Schwarzbrennerei mit der Dürre der 30er Jahre erklärt wird. So heißt es in dem Song:

"So dry, old boll weevil turned up his toes and died,
Now ain’t nothing to do, bootleg moonshine and rye.”

Wenn man im Schnitt pro Seite 3 Begriffe rechnet, kommt man auf ein Lexikon von ca. 1600 Wörtern. Jeder zitierte Song wird übersetzt, auch andere Vokabeln, wie bootleg, werden in einer Anmerkung erklärt. Cremer begnügt sich generell nicht mit einer Übersetzung von Termini, sondern stellt diese jeweils in den musikalischen und zeithistorischen Zusammenhang, wobei ihm seine erstaunliche Detailkenntnis der US-amerikanischen Geschichte zugute kommt.

  • Der Autor Robert Cremer

Der Autor ist Deutscher und wohnt in Bamberg. 'Was kann uns der schon über Blues berichten?', könnte man vielleicht fragen. Doch Robert Cremer ist wirklich sehr kompetent. Er ist in Chicago aufgewachsen und beschäftigt sich seit den 60ern mit dem Blues direkt vor Ort, wo er seit Jahrzehnten persönliche Interviews führt und viele Informationen zusammengetragen hat. Sydney Ellis nennt ihn einen „modernen Alan Lomax“. Das ist ein Riesenkompliment, denn Alan Lomax und sein Vater John haben als ‚oral historians‘ über Jahrzehnte Tausende von Liedern und Interviews für das Archive of American Folk Song gesammelt und dabei Talente wie Lead Belly und Muddy Waters entdeckt und gefördert. Eine ähnliche Rolle kommt auch Cremer zu. Er hat zwar nicht Neues erkundet, aber in der Fülle des Materials auf der Ebene der Lexik sprachliche Strukturen entdeckt und anhand von Beispielen ausführlich dargestellt.

  • Anhänge und Kritik

Zum Buch gehören ein kommentiertes Literaturverzeichnis, ein Register zu Künstlern, eines zu Bluessongs und am Ende eine begründete “selektive Diskografie” von Blues-LPs mit Cover und Angaben von Künstler, Titel, Nr. Label und Veröffentlichung (s. Abb. rechts).

Kritisch sehe ich die Entscheidung Cremers, das Wort ‚BLUES’ meist mit ‚Schwermut‘ oder ‚Depression’ zu übersetzen. Sicher geht es manchmal auch darum, doch auch Liebeskummuer, Trauer, Traurigkeit und Verzweiflung sind Gemütszustände im Blues. Warum deshalb nicht das Wort BLUES unübersetzt stehen lassen, wenn doch alles darin liegt?

Auch die Erklärung der Blues-Entstehung anhand der Parameter Westafrika, Field Hollers und Gospel ist mir zu oberflächlich. Andere Einflüsse und die Entstehung der Kunstform Blues bleiben außen vor. Unklar bleibt auch, auf welchen Zeitraum sich der Text bezieht und was genau unter Blues verstanden wird. Gehören auch die Stones, Amy Winehouse und Janis Joplin dazu, oder überhaupt weiße SängerInnen? Clapton wird mal genannt, John Mayall kommt gar nicht vor.

Interessant wäre es zu erforschen, inwieweit die im Buch beschriebene 'Geheimsprache' auch in den Songs des weißen Blues verwendet wird und welche Bedeutung(en) die Begriffe dort haben. Doch das würde sicher ein neues Buch ergeben.
Dieses Buch ist ein Standardwerk für Konsumenten und Analysten, vielleicht aber auch für die Blues-MusikerInnen selbst, die damit vielleicht erst erfahren, was sie da eigentlich singen. Und die knapp 50 € ist es allemal wert.

Robert Cremer, Die Geheimsprache des Blues - Die wahre Bedeutung der Songtexte
Diskographie u. über 250 teils farbige Fotos u. Illustrationen
Mit einem Vorwort von Bobby Rush. 868 Seiten mit über 250 Fotos und Illustrationen. Hardcover im Grossformat 21 x 30 cm.

Edition Olms AG
ISBN-13: 9783283013165
Bestellnummer: 10809751
Erscheinungstermin: 5.5.2022

s. auch die Darstellung einiger Seiten auf der homepage des Verlages

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