David Six & Dancing with the Ghost Quartet
Dance with the Ghost
TEXT: Stefan Pieper |
Eine „neue Innerlichkeit“ ist im europäischen Jazz unüberhörbar. Ein aktuelles Projekt des österreichischen Pianisten und Komponisten David Six artikuliert in diesem Sinne eine unangestrengte, friedvolle Empfindsamkeit, die im Hinblick auf die Zukunft unseres Planeten längst überfällig ist. "Dancing with the Ghost" lautet der Titel einer geplanten Trilogie, an deren ersten Teil eine Quartettbesetzung steht. Weitere größere Konstellationen sollen folgen. David Six hat das aktuelle Album zusammen mit dem Trompeter Mario Rom sowie Beate Wiesinger am Bass und Lukas König am Schlagzeug eingespielt. Alle vier sind Protagonisten einer hellwachen jungen österreichischen Jazzszene und sie vereinen in der aktuellen Besetzung ihre breit aufgestellten kreativen Horizonte miteinander.
„Dancing with Ghosts“ - gemeint sind mit dem Titel der Trilogie vor allem die Geister, welche sich die Menschheit selber gerufen hat und nun vielleicht nicht mehr gebändigt bekommen: Klimakatastrophe, Krieg, globale Ungerechtigkeit. Die globalen Baustellen scheinen sich gerade im Moment exponentiell zu vervielfachen. Über Musik eine verloren gegangene Empathie wiederzufinden, darum geht es dem Initiator dieses Projekt und so soll die Musik auch klingen.
Die Menschheitsdämmerung geht uns alle an
Wie wird nun dieses programmatische Anliegen in Musik „übersetzt“? Man wird hier nicht belehrt oder klein gemacht, so viel ist auf Anhieb klar, stattdessen wirkt es verblüffend, wie eine auffallend zugängliche Musik die Freiräume zur Kontemplation und Meditation über solche Fragen öffnet. Virtuosität um ihrer selbst willen wird man in dieser Band kaum wahrnehmen. Umso mehr ist spürbar, wie tief alle Beteiligten in sich selbst hineingehört haben. Gereifte melodische Substanz, aber auch ein Hang zum Subtilen, Unerwarteten verströmt das Klavierspiel von David Six, der zuweilen auch auf dezent präparierte Klangeffekte in seinem Spiel setzt. Nicht minder empfindsam, aber solide tragfähig wirkt das Kontrabass-Spiel von Beate Wiesinger. Auch Schlagzeuger Lukas König kommt mit seiner sensiblen Rhetorik aus Klängen und Strukturen oft ganz schön ins Nachdenken. Die prägnanteste Stimme ist die des Trompeters Mario Rom, der sonst vor allem im Trio Interzone mit Lukas Kranzelbinder und Herbert Pirker für internationales Furore sorgt. Hier fügt er sich mit genau viel Seele in die gemeinsame Sache ein und glänzt mit seiner anschmiegsam- schwebenden und oft auch spannungsgeladenen Phrasierungskunst.
Jazz gibt der Hoffnung Nahrung
Zum ergreifenden Klagegesang steigert sich die Interaktion der vier in einem Stück mit programmatischem Hintergrund: "Zarifa" ist der afghanischen Kommunalpolitikerin Zarifa Ghafari gewidmet, die zur jüngsten und wohl einzigen weiblichen Bürgermeisterin in ihrem Land gewählt wurde - bevor die Tragik ihren Lauf nahm und sie nach der Machtübernahme durch die Taliban fliehen musste. Das elegische Stück "Moria" wurde nach dem Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos benannt und lässt für eine Weile die Zeit stillstehen. "The Gloaming" trägt den wohl symbolträchtigsten Titel in diesem Programm. Gloaming bedeutet Dämmerung. Es kann hier nur um eine "Menschheitsdämmerung" gehen, ein Wort, mit dem einst Expressionisten das drohende Weltende umschrieben.
"Dancing with the Ghost" ist aber trotz seiner schweren Programmatik überhaupt kein düsteres Album. Denn im melodiösen Gegenwartsjazz dieses hellwach auf höchstem Spielniveau interagierenden Quartetts lebt ein Bekenntnis zu musikalischer Schönheit. So lässt Jazz auch so manchen Hoffnungsschimmer in schwerer Zeit aufleuchten.
Album
David Six & Dancing with The Ghost Quartett | Dance with the Ghost
Sessionsworks records 2023