COO
SPICCILEGGIA
TEXT: Stefan Pieper |
Wenn sich Spurenelemente des amerikanischen Freejazz und der zeitgenössischen Berliner Improvisationskunst begegnen, entstehen im Idealfall besondere Momente. Genau solche Momente hat das Quartett COO auf seinem Debütalbum spiccilegia eingefangen. Die Formation um den Saxofonisten Kai Winter und den Trompeter Peter Czekay, vervollständigt durch Frau Sportmann am Bass und Sanjuro am Schlagzeug, schlägt dabei eine faszinierend eigenwillige Brücke zwischen den experimentellen Ansätzen der 1960er-Jahre und der zeitgenössischen Klangforschung.
Die Besetzung mag zunächst an frühe Ornette-Coleman-Formationen erinnern, doch COO geht eigene Wege. Gleich im Eröffnungsstück entfaltet sich ein faszinierendes Wechselspiel: Über einem polternden Schlagzeugbeat entwickeln sich schrille Gesten von Saxofon und Trompete, die sich zu verdichteten Soundclustern vereinen. Aus dem Stegreif entstehen kollektive Improvisationen, die von einer unvorhersehbaren, hellwachen Gruppendynamik leben.
Die konzeptionell angelegten Stücke bieten reichlich Raum für die gemeinsame Entwicklung musikalischer Texturen. Dabei blitzt immer wieder ein profundes Jazzvokabular auf. COO gelingt es, in oft rasanten Tempi die Stabilität und Brüchigkeit improvisatorischer Ideen auszuloten, ohne dabei in bloße Demonstration technischer Fertigkeiten zu verfallen.
Diese Band kann auch swingen
Vor allem im vierten Stück „Let’s COO“ zeigt die Band, dass sie auch im Sinne einer progressiven Jazz-Diktion swingen kann. Und überhaupt ist der Titel dieses Stücks Programm: Die Transformation des Bandnamens in ein Tätigkeitswort zeugt vom Selbstbewusstsein der vier Musiker. Denn unter diesem erfundenen Verb für etwas, das es so vermeintlich noch nicht gab, verbirgt sich die hohe Kunst dieses Quartetts. In skizzenhafter Verdichtung der kurzen Stücke werden alle Zustände der Kommunikation, die möglich oder auch noch utopisch sind, durchdekliniert – vom meditativen Zwiegespräch bis zum hitzigen Diskurs ist alles und noch viel mehr in Echtzeit möglich.
Wenn vier Musiker hier ihr Allerwesentlichstes offen nach außen kehren und dabei den feinsten Klangnuancen ihrer Instrumente und ihrer Spieltechniken auf die Spur gehen, ist der größte Aufwand gerade gut genug – eine Überzeugung, die Produzent Claudius Reimann vom Label Tonkunstmanufaktur mit viel Liebe und Expertise praktisch umsetzt. Aus dem Spontanen, was der Moment hervorbrachte, entstand ein Werk mit Gewicht – genauer gesagt von genau 180 Gramm Masse, das zudem auch noch mit 45 RPM abzuspielen ist, um die ganze dynamische Bandbreite optimal auszuschöpfen - so wie damals die legendären Maxi-Singles. Und ja: Die ganze lebendige Klangwärme dieser Produktion, die physische Präsenz des Schlagzeugs, die räumliche Tiefe des Basses und die silbrig-funkelnde, nie scharfe Brillanz der Bläser schaffen einen inspirierenden Raum, der die improvisatorische Energie der Band atmen lässt und auch dem Neueinsteiger in die Materie alle Tore öffnet, sich auf das Abenteuer frei improvisierter Musik lustvoll einzulassen.
Die Releases des Labels Tonkunstmanufaktur gibt es direkt beim Label, werden aber auch über den Kölner Vertrieb A-Musik, Kleiner Griechenmarkt 28-30, 50676 Köln, vertrieben und sind im eigenen Kölner Plattenladen erhältich. Bei Discogs wrd man auch fündig. Die TonkunstManufaktur hat Distributionsvereinbarungen mit dem Ventura Verlag, Werne und A-Musik, Köln.