Chronatic Quartet
Karneval der Tiere
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Rebecca Ter Braak
Zum einhundertsten Todestag des französischen Komponisten Camille Saint-Säens hat sich das Chronatic Quartet mit dem populärsten Werk des französischen Meisters auseinandergesetzt und seinen Karneval der Tiere für Violine, Klavier, Schlagzeug und Bass umgestaltet.
Sich stilistisch zwischen die Stühle zu setzen entspricht der heutigen musikalischen Wirklichkeit. Die hohe Kunst liegt darin, über die Schablone eines modischen Crossovers hinaus zu wachsen. Dies gelingt dem „Chronatic Quartet“, bestehend aus dem Geiger Tobias Paulus, dem Pianisten Benedikt Ter Braak sowie Marco Tiziano Alleata am Bass und Schlagzeuger Jan Friedrich. Bei ihren furiosen Liveauftritten ist es wohl jedem egal, ob man diese Musik als Jazzrock, Klassik-Crossover, frisierten Neo-Folk oder was auch immer bezeichnen soll. Ihr Debut-Album favorisierte ebenso den virtuosen Stil- und Genremix. Auf ihrem zweiten Album „Karneval der Tiere“ zeigt die Band, dass sie sich auch an einer durchgehenden programmatischen Idee souverän abarbeiten kann.
Camille Saint-Saens, ein französischer Komponist aus der Spätromantik, hat mit seiner Suite vom „Karneval der Tiere“ ein Unikum geschaffen: Ein großes Aufgebot von allen möglichen Tierarten präsentiert sich auf einer imaginären Bühne. Jedes Stück ist einem bestimmten Tier gewidmet. Die musikalischen Parodien von Löwe, Schildkröte, Esel, Känguru und co. versinnbildlichen die verschiedenen Charaktere der Instrumente in einem Sinfonieorchester.
Variantenreiche Kräftefelder
Dem Chronatic-Quartett geht es aber wohl kaum um eine Märchenstunde mit pädagogischem Mehrwert. Vielmehr taugen die verschiedenen musikalischen Bilder der Suite für variantenreiche Kräftefelder. Die lautmalerischen Bilder des Originals bleiben dennoch präsent. Dramatisch aufbrausender Klaviersound und die fetzig loslegende Solovioline bereiten den Auftritt des „Königs der Tiere“ vor. Rasche Tonrepetitionen und hektische Trommelwirbel künden vom ruhelosen Gescharre und Geschnatter der Hühner, die hier genauso frei leben dürfen, wie sich die Musik des Chronatic-Quartetts gebärdet. Aber es gibt auch Momente der Entschleunigung – etwa, wenn der Auftritt einer Schildkröte musikalisch zu beschreiben ist.
„Frontmann“ in der Band ist eindeutig der Violinist Tobias Paulus, bei dessen kraftvolle Kapriolen und furiose Soli die Vorstellung nahe liegt, dass dieses Instrument doch eigentlich für Rockbands geschaffen worden ist. Die dichte, reaktionsschnelle Interaktion fasziniert immer wieder auf diesem Album. Versiert wechselt die Band zwischen Stimmungsbildern und Powerplay, zwischen lyrischen Melodien und schnellen Improvisationen, zwischen motivischen Anspielungen und rhythmisch vertrackten Wendungen. Es geht darum, so oft wie möglich aus einer erwarteten Linie auszubrechen, um im nächsten Moment eine andere Überraschung treffsicher einzubringen. Das kann auch mal ein Mozart-Zitat oder die Melodie aus dem berühmten „Greensleeves“-Folktune sein. Was nicht passt, wird hier passend gemacht. Die Finesse dabei ist atemberaubend.
Es geht um die Symbiose von Stilen und Genres
Gegründet wurde das Quartett im Jahr 2017 vom Pianisten Benedikt ter Braak, der an der Dortmunder Glenn-Buschmann-Jazz-Akademie bei Hanns Wanning und Uwe Plath und später an der Folkwang in Essen studierte. Seither befasst er sich intensiv mit der Symbiose von Stilen und Genres, kreiert spartenübergreifende Konzertprogramme, verschreibt sich der Verbindung von Moderne und Tradition. Das „Chronatic Quartet“ und vor allem auch dieser aktuelle Tonträger wirkt wie eine logische Konsequenz, um mit so etwas auch ein großes Publikum erobern zu können.
Label: ARS Produktion 2023