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Christian Segmehl

Saxophon plus

Stuttgart, 17.07.2015
TEXT: Stefan Pieper | 

Klassik, Jazz, Musik, Literatur? Was tun schon Kategorien zur Sache, wenn man sich in einem reichen künstlerischen Kosmos frei bewegen will. Der Saxofonist Christian Segmehl atmet in dieser Hinsicht sehr frei, um mit Luftströmen ein Saxofon ins Klingen zu versetzen.

Um eine solche Freiheit auch faktisch zu leben, hat er bei der Produktion seiner aktuellen CD „Saxofon Plus“ die Dinge selbst in die Hand genommen. Ein Herzensanliegen wurde Realität:Musiker, mit denen er tiefe Verbindungen hat, gehören hier zu seinen Partnern. Und dass seine Botschaften auch bei vielen Empfängern ankommen, hat Christian Segmehl bereits im Vorfeld ausgestet. Er rief eine Crowdfunding-Kampagne zur finanziellen Unterstützung der eigenen Produktionskosten aus - und dies mit gutem Erfolg! Eine sinnvolle Herangehensweise für aufstrebende Musiker, um schon im Vorfeld auszuloten, ob die eigene Botschaft beim „Empfänger“ ankommt und wie weit das eigene künstlerische Tun sozial verankert ist.

Zurück zur Musik: Segmehls Spiel auf Alt und Sopransax ist von bestechender klanglicher und emotionaler Reichhaltigkeit. Der Sound strahlt und leuchtet. Und darf auch mal die Seele streicheln und wird gerade in solchen Momenten der Definition des Saxofons als Holzblasinstrument ganz besonders gerecht. All dies lebt hier in erfrischend unkonventionellen Kontexten: Eine der Säulen ist die Begegnung dieses Instruments mit der Orgel. Segmehl hat hier mit dem Organisten Johannes Mayr einen hellhörigen Partner an seiner Seite. Johannes Mayrs Spiel füllt machtvolle Räume aus. Noch verdienstvoller ist, dass er sich mit sensiblen dynamischen Impulsen auf dem mächtigen Instrument als hellwacher Kammermusikpartner im richtigen Moment erweist.

Das taugt für einen grandios musikalischen Auftakt in einer bemerkenswerten Sonate von Denis Bédard. Französisch-neoklassizistisches Esprit paart sich hier mit anmutiger tänzerischer Geste, auch kommt eine gewisse sakrale Feierlichkeit zum Tragen. Segmehls Dialoge mit der Orgel taugen später für ein ganz und gar auftrumpfendes Finale am Schluss dieser CD - einem mitreißend temperamentvollen Stück des Briten James Whitbourn.

Aber Segmehl gewährt auf dieser CD Einblicke in noch viele weitere künstlerische Tummelplätze: Nur zu gerne improvisiert er zu gesprochen Worten, damit Musik und Literatur miteinander reagieren können. Viel gelobt sind Segmehls Duoabende mit der Rezitatorin ChrisTine Urspruch. Diese kommt auf der neuen CD auch ganz alleine zur Wort, wenn sie einen Text über die Erhabenheit von Natur aus der Feder von Rajzel Zychlinski vorträgt oder später eine lange Kurzgeschichte von Joseph Roth liest.

Man muss schon etwas in der Lage sein, hier von Musik zu reiner Wort-Kunst „umzuschalten.“ Eine viel bessere Wahl für den musikalischen Gesamtfluss einer CD-Produktion ist auf jeden Fall Ernst Jandls „Calypso“ . Jandls Sache ist der improvisatorische und gerne auch umstürzlerische Umgang mit Worten, Silben, Tönen - und daher ist er ja irgendwie auch ein Jazzer! Das hier vorliegende Stück „Calypso'“ nimmt brasilianische Exotismen aufs Korn und jongliert fröhlich-frech mit „Denglisch-Sprachverhunzungen“. Zu ChristTine Urspruchs Silben-Pointen zaubert Segmehl ganz hinreißende Arpeggio-Ketten aus dem Instrument. Segmehl, der zwar große Stücke auf die Interpretation klassischer Stücke legt, ist auch ein profunder hellwacher Improvisator. So soll es sein!

Das zeigt sich in weiterhin fantasie gesättigten Dialogen mit der Orgel. Da brechen manchmal Tumulte hervor, werden Töne und Skalen verspielt durch den Raum geschleudert, Luftströme verdichtet und Flächen ausgebreitet – Motor ist der reich assoziierte Ideenfluss. Sehr gelungen ist auch eine perkussive Studie aus der kompositorischen Feder Viola Falb – hier erwachsen verblüffende Wirkungen vor allem aus drängende pochenden Stakkato – Ketten.

Und nun zu dem, was wirklich „großes Kino“ auf dieser CD ist: Enjott Schneider macht auch hier seinem Ruf als treffsicher agierender Film-Musik-Komponist alle Ehre. Hier eröffnet sich mittels Elektronik und Perkussionsinstrumenten ein aufwühlendes Breitwandpanorama. Voller sphärischer Flächen und brodelnder Subbässe sind jene imaginären Landschaften gesättigt, in denen Segmehls Saxofonspiel zum eindrücklichen Handlungsträger wird. Er formuliert große Themen, formt Klänge, die gellend, singend, manchmal auch rockend letztlich wieder den große melodischen Bogen. Horizonte zu überspannen ist nun mal das Anliegen des Christian Segmehl.

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