Charlie Mariano
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TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker |
Die Besuche des Filmemachers Axel Engstfeld bei den letzten Konzerten des Ausnahmemusikers Charlie Mariano sind in dem gleichnamigen Film zu sehen. Der Film dokumentiert zwei Konzerte mit dem Altsaxophon-Star Charlie Mariano im Kölner Stadtgarten und in Stuttgart, wo im Jahre 2009 - drei Monate vor seinem Tod - anlässlich des 85. Geburtstages von Charlie Mariano Wegbegleiter seines bewegten Musiklebens noch einmal gemeinsam mit ihm auf der Bühne stehen. Unterbrochen werden die Konzertmitschnitte von Backstage- und „Wohnzimmer“-Aufnahmen, in denen Charlie Mariano selbst zu Wort kommt, ebenso der Kölner Pianist und Keyboarder Mike Herting und der junge Trompeter Mathias Schriefl.
Man erfährt eine Menge über das Leben – und Sterben – des 1923 in Boston als Carmine Ugo Mariano geborenen Musikers. Sein Vater war gegen die Entscheidung des Sohnes, Musiker zu werden. Mariano spielte im ersten Job in einer weißen Tanzkapelle, durch Zufall ersetzte er im Krieg den Part des Saxophonisten in der schwarzen Band und kam so in Kontakt zum – wie er sagt - „wirklichen Jazz“. Wieder durch Zufall gelangte er ein paar Jahre später zur Big Band mit seinen Idolen Charlie Parker und Dizzy Gillespie, um hier festzustellen, dass er sich von dem Vorbild Parker befreien und seinen eigenen Stil finden müsste. Dies gelang ihm sicherlich in dem Zusammenspiel mit zahlreichen internationalen renommierten Jazzmusikern voll und ganz.
Die beiden Konzertausschnitte geben ein Zeugnis ab von dem spezifischen Klang von Marianos Alt-Saxophon-Spiel, das Charlie Mingus als „Tears of Sound“ bezeichnete und den poetischen und melodiestarken Stil von Charlie Mariano so treffend charakterisierte. Auch hierfür gibt Mariano selbst im Film eine biografische Erklärung: Sein Vater liebte und hörte häufig Caruso-Platten und beeinflusste so den jungen Musiker nachhaltig. Bei der Emanzipation von dem Idol Parker und auf der Suche nach einem eigenen Stil gelang Mariano das Kreieren eines eigenen Sounds: mit großer Strahlkraft und reinem (Alt-)Klang, in der oberen Lage vielleicht etwas brüchig, der die hymnisch-elegischen Soundtüftler auf dem Sax bis zu Jan Garbarek nachhaltig beeindruckte und entsprechende Spuren hinterließ.
Wegen deutlich besserer Auftrittsbedingungen und eines für Jazz offeneren Publikums kommt der „Weltmusik“-Musiker und Kosmopolit in den 70er Jahren nach Europa, bis zu seinem Tod im Juni 2009 lebt er 23 Jahre in Köln und beeinflusst von der Domstadt aus maßgeblich die europäische Jazzszene. Ein Wegbegleiter ist dabei der Kölner Mike Herting, der die Jazzlegende respektvoll und liebevoll beschreibt und – auch in persönlicher Hinsicht – begleitet. Deutlich wird in der Beschreibung, dass die Musik des 85-jährigen Ausnahmemusikers bis ins hohe Alter noch immer besser geworden sei. Gegeben habe er immer 100%, entsprechend waren auch die Erwartungen an seine Mitspieler. Die Soli seien zwar kürzer geworden, dafür aber immer substantieller und poetischer.
Die beiden Konzertmitschnitte lassen den Zuschauer dies gut nachvollziehen: Bei allen Beeinträchtigungen durch Krankheit und Alter zeigt Charlie Mariano eine unglaubliche Präsenz in seinem nach wie vor kraftvoll-poetischen Spiel. Vor allem das Stuttgart-Konzert – obwohl vom Filmschnitt und den Einstellungen eher wenig inspiriert bis stümperhaft – gibt einen Eindruck von dem langjährig zusammenspielenden Trio mit Jasper van’t Hof am Flügel und Philip Catherine an der Gitarre - auch einen Eindruck von den unterschiedlichen Temperamenten der Trio-Spieler: Während Jasper van’t Hof mit Überschwang und druckvollen Staccato-Kaskaden auf der Tastatur und Philip Catherine die Saiten mit einer an Django Reinhardt gemahnenden Virtuosität schlägt, bläst Mariano sein Horn unaufgeregt geradlinig, mit hoher Emotionalität. Ein Geburtstagskonzert, das im Nachhinein als Abschiedskonzert zu sehen ist.
Ebenfalls traurig-melancholisch stimmt das, was man in dem Film auch über die materiellen Schattenseiten eines Künstlerlebens erfährt: Trotz seiner Krebserkrankung und seines Alters war Mariano darauf angewiesen, weiter zu touren und Auftritte zu absolvieren, die Gagen der Musikbegleiter – so erzählt Herting - wurden dann nicht selten komplett dem Idol und Förderer gespendet. Der Film gibt der Darstellung der Krebserkrankung und den auch materiellen Auswirkungen einen relativ breiten Raum – als Zuschauer brauchte man nicht unbedingt Bilder von Charlie Mariano in Unterhose vor der CT-Untersuchung zu sehen, um zu verstehen, dass der Krebs das (Künstler-)Leben massiv beeinträchtigt. Vielleicht werden im Kontrast dazu der vitale Lebenswille und die Energie offenkundig, die der allüren- und sentimentfreie Menschenfreund Charlie Mariano in den Interviews, aber vor allem auch in seinem wunderschönen Spiel auf dem Altsax verkörpert. Umso trauriger sind dann die letzten Einstellungen von dem Saxophonisten, der von der Krankheit gezeichnet in den letzten Wochen vor seinem Tod nicht mehr spielen kann und darunter sichtlich leidet. Er schickt sich an, zum Unterhalt seiner Frau sein Instrument zu verkaufen.
Der sehens- und hörenswerte Dokumentarfilm von Axel Engstfeld läuft zur Zeit in ausgewählten Kinos in NRW.
Weiterführender Link:www.engstfeldfilm.de