BIX
Eine „sophisticated“ Anverwandlung der Musik Bix Beiderbeckes
TEXT: Heinrich Brinkmöller-Becker |
Eine besondere Art der Rückbesinnung auf die Jazztradition ist dem überaus erfolgreichen Quartett Echoes of Swing mit seiner letzten Veröffentlichung gelungen: BIX. A Tribute To Bis Beiderbecke. Das Album ist eine Hommage an den jung verstorbenen Kornettisten und genialen Improvisator Bix Beiderbecke – übrigens auch auf dem Piano - mit der in den 1920er Jahren eher unüblichen Stilistik eines „cool players“, der ganze Generationen von Trompetern beeinflusste.
Wer von der neuen CD eine getreue Kopie Beiderbeckes lediglich mit heutiger Aufnahmetechnik erwartet, muss enttäuscht werden. Nostalgischer Traditionalismus ist nicht die Sache von BIX, sondern ein ausgesprochen raffinierter, ja mutiger Umgang mit dem Ursprungsmaterial. Museale „dokumentarische“ Ansprüche erfüllt Kurator und Produzent von BIX, Siggi Loch, insofern, als er eine Doppel-CD herausgibt: Die eine umfasst die Original-Musik von Bix Beiderbecke in zehn historischen Mono-Aufnahmen von 1927 und 1928, die sich zum Teil auch in der Bearbeitung wiederfinden, die andere vierzehn Arrangements bzw. Eigenkompositionen mit ihrer jeweiligen beziehungsreichen Interpretation der Referenzstücke Beiderbeckes aus heutiger Sicht.
Eine Hommage an einen Interpreten stellt eine besondere Herausforderung dar, der Ansatz von BIX besteht in einer multiperspektivischen Sicht auf das Beiderbecke’sche Oeuvre: Populäre Stücke bzw. eine der wenigen Eigenkompositionen von Bix Beiderbecke werden aufgegriffen und in andere stilistische Kontexte versetzt, Soli werden zitiert und mehrstimmig präsentiert, Eigenkompositionen nehmen in unterschiedlicher Weise Bezug zu Beiderbecke. Verschiedene Facetten des Jazz-Pioniers werden so in einem verfremdenden Gestus gerade besonders deutlich herausgestellt.
Bei dieser Annäherung durch eine eigensinnige Distanzierung erweist es sich geradezu als Glücksfall, dass sich für die BIX-Aufnahme zu dem Traditional-Jazz- Quartett Echoes Of Swing mit dem Pianisten Bernd Lhotzky, Chris Hopkins am Alt-Saxophon, dem Trompeter und Kornettisten Colin T. Dawson und Oliver Mewes Musiker gesellen, die mit dem genannten Ansatz in besonderer Weise korrespondieren: Pete York als zusätzlicher Schlagzeuger und Perkussionist, der technisch brilliante und subtil swingende Henning Gailing am Kontrabass, die ebenso stilistisch vielfältige Shannon Barnett an der Posaune und der Quadro Nuevo-Musiker Mulo Francel mit seinem heute weniger gebräuchlichen C-Melody-Saxophon. Der Hintergrund dafür: Der inspirierende Wegbegleiter von Beiderbecke, Frank Trumbauer, spielte neben anderen Instrumenten genau dieses Saxophon. Mulo Francel übernimmt dessen Sound in seiner melodieseligen Eigenkomposition Everything That Was und gibt dem Song mit Ohrwurm-Charakter eine schmachtende entspannte Saxophon-Stimme. Dies gilt auch für viele Soli und Begleitstimmen in den anderen Tracks der CD. Sein Arrangement von Happy Feet im groovenden Streetparade-Rhythmus mit virtuoser Solo-Einlage auf dem C-Melody-Sax stellt einen direkten Bezug zu Frank Trumbauer und damit Bix Beiderbecke her. Die einzige Klavier-Komposition von Beiderbecke auf der Tribute-CD (Tango) In The Dark verwandelt Mulo Francel in einen ruhigen Tango mit einem Sound, der an den frühen Coltrane erinnert.
At The Jazz Band Ball und Jazz Me Blues gehören zu den berühmtesten Stücken aus dem Beiderbecke-Repertoire. Beide werden im Ansatz von BIX transformiert: At The Jazz Band Ball in der Bearbeitung von Bernd Lhotzky kommt in einem anderem Tempo als das Original daher, in einer „coolen“ Version im Idiom des 40er-Jahre-Swings, in Jazz Me Blues verändert Chris Hopkins die punktierte, triolische Phrasierung des Originals zugunsten eines „geraden“ Soul Bossa. Es mutiert so zu einer ausgelassenen Party-Musik und eignet sich bestimmt gut als Closer für ein Live-Konzert. Übrigens fungiert hier in einem wunderbaren Sopransaxophon-Solo als special guest der bei ACT omnipräsente Emile Parisien. Andere Beispiele für die besondere Form der Anverwandlung: I’m Coming Virginia mit Beiderbeckes berühmtestem Solo der Jazz-Geschichte erscheint im 5/4-Takt und nimmt dadurch „brubeckeske“ Züge an – übrigens mit einer überzeugenden Vokaleinlage von Shannon Barnett, Thou Swell wird in ein für die 50er Jahre typisches Arrangement versetzt und lässt darüber spekulieren, wie Beiderbecke in dieser Zeit geklungen hätte. Außerdem ist die direkte Entwicklungslinie seiner Musik zu Chet Baker und Bob Brookmeyer gut nachvollziehbar.
I’ll Be A Friend With Pleasure zitiert das Original im Intro, um den Song fast ketzerisch in einen Bossa Nova zu verwandeln. Die Farbe des Hopkins’schen Altsaxophons erinnert an Stan Getz. Pete York singt dazu mit dem Charme der Stimme des Nicht-Sängers.
The Boy From Davenport & The Girl From Ipanema legt über die Harmonien von Ipanema eine neue Melodie im 20er-Jahre-Idiom, Chris Hopkins ’ Arrangement fungiert sozusagen als Rückübersetzung des Jobim-Klassikers in die Zeit von Paul Whiteman, der organische Übergang von beiden Versionen zeugt von der inneren musikalischen Verwandtschaft.
Die Bernd Lhotzky-Komposition At Children’s Corner wiederum greift drei originale Themen von Beiderbeckes großem Vorbild Debussy auf – übrigens wird dessen Einfluss auf dem letzten Track der Original-Musik-CD mit dem Beiderbeckes Piano-Solo In A Mist deutlich. In dem Rondo im beschwingt-optimistischen Gestus der 20er Jahre lässt Lhotzky Beiderbecke in den Farben des französischen Impressionisten durchschimmern.
Nix Like Bix fällt allein von der Besetzung, v.a. von seinem experimentellen Zugang her aus dem Gesamtbild von BIX. Die Komposition von Shannon Barnett wird von ihr im hinreißenden Duo mit Henning Gailing umgesetzt, Blue River wird pulverisiert und in einen groovenden Dialog von Posaune und Kontrabass übertragen.
Singin’ The Blues nimmt in einer Straight Ahead-Version das berühmte Beiderbecke-Solo auf, spielt es schneller als im Original und setzt es in ein vielstimmiges Solo um.
Die CD schließt mit Ol’ Man River in einem spektakulären Arrangement von Chris Hopkins , es wird ausschließlich von dem Quartett in einer mitreißenden, zum Tanz animierenden Version in bekannter Echoes of Swing-Manier umgesetzt.
Die typische Haltung von Beiderbecke in seiner kurzen Schaffenszeit, die Jazzmusik evolutionär zu verändern, ist in BIX spürbar. Die Graben- und Glaubenskriege bei Jazzmusikern und noch mehr beim Publikum in der (Selbst-)Definition und Distinktion in den Parametern von Tradition und Avantgarde, von Kommerz und Kunst, von Bewahren und Verändern lösen sich immer dann schnell in Luft auf, wenn mit Jazz und seinen Traditionslinien einfach nur mit guter und gut gespielter Musik umgegangen wird. Die BIX-Produktion ist dafür ein sehr treffendes Beispiel, ein überzeugendes Plädoyer gegen jegliches Schubladen- und Lagerdenken, BIX ist einfach „sophisticated“, raffiniert und musikalisch und musikgeschichtlich komplex.
Echoes of Swing: BIX. A Tribute to Bix Beiderbecke. ACT 9826-2