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Anke Steinbeck

Fantasieren nach Beethoven

Bonn, 16.11.2017
TEXT: Uwe Bräutigam | FOTO: Seiffen

Auch wenn der Titel es nicht ahnen lässt, es handelt sich um ein Buch über Jazz und Improvisation und kein Buch über Beethoven oder die Wienerklassik und es ist eines der besten Bücher des Jahres über Jazz.

Anke Steinbeck zeigt in diesem Buch, dass ein Musiker wie Beethoven bei seinen Zeitgenossen nicht unbedingt wegen seiner Kompositionen, sondern vor allem für seine ungewöhnlichen Improvisationen am Klavier berühmt war. Dieses Improvisieren wurde in dieser Zeit Fantasieren genannt.

Daher leitet sich auch der Titel des Buches ab, der ein Appell an die heutige klassische Musik ist, den Bereich der Improvisation, der fast verlorengegangen ist, wieder zu pflegen. Anke Steinbeck legt dar, dass die klassische Musik hier vom Jazz lernen kann. Um diese Aussagen zu untermauern und sie für die Leser*innen interessant zu gestalten, lässt sie viele bekannte Jazzmusiker*innen zu Wort kommen. Ihr Kontakt mit den Musiker*innen ist vor allem über ihre langjährige Arbeit als Projektleiterin des Jazzfest Bonn entstanden.

Das Buch besteht aus drei Bereichen. Im ersten Teil werden die Leser*innen an das Thema Improvisation und an das Spannungsverhältnis von Komposition und Improvisation herangeführt. In diesem Teil kommen zwei Bonner Musiker*innen zu Wort:

die Pianisten Julia Hülsmann und Markus Schinkel, die ihr Verständnis von Jazz, Improvisation und Komposition darlegen.

Der zweite Teil beginnt mit einem Exkurs über die Stadt Bonn, ihr Erbe mit Beethoven und Schumann und die Entwicklung der Jazz-Szene bis zum Jazzfest Bonn.

Danach folgen wieder drei hoch interessante Gespräche mit dem Bassisten Dieter Ilg, dem Vibraphonisten Chistopher Dell und dem Komponisten Enjott Schneider, in denen das Thema Improvisation und Komposition von vielen Seiten beleuchtet wird.

Im dritten Teil des Buches geht es um die Improvisation als eine interkulturelle Praxis.

Nachdem Anke Steinbeck der Rolle der Improvisation in der Musikgeschichte nachgespürt hat, gibt es einen Exkurs des Musikpsychologen und Musikers Stefan Koelsch: „Warum Geld und Schokolade Spaß, Liebe und Musik glücklich machen.“

In einem weiteren Gesprächen erzählt der junge norwegische Saxophonist und Komponist Marius Neset über seine Kompositions- und Improvisationspraxis.

Das letzte Gespräch im Buch führt Anke Steinbeck mit dem Bassbariton Thomas Quasthoff, der berühmt als Opern- und Konzertsänger ist und besonders das Kunstlied in Deutschland mit seiner Stimme geprägt hat. Quasthoff beschreibt aus seiner eigenen Erfahrung die unterschiedlichen Ansätze in Klassik und Jazz.

In all den Gesprächen wird auch der Versuch gemacht den Begriff Jazz näher zu bestimmen.

Die Definitionen der Musiker*innen haben eine enorme Bandbreite:

„Bei mir bleibt dann gerne übrig, dass man manchmal besser von Musik spricht. Eben Musik, die einen berührt, egal ob sie Jazz oder irgendwie anders genannt wird“ (Julia Hülsmann).

„Jazz ist die freie Rede ohne Manuskript, ein Erzählen mit einem mehr oder weniger festen Rahmen und vielen Abweichungen“ ( Marcus Schinkel ).

„Jazz ist für mich eine historische Musikform. (…) Ich denke, es ist heute gar nicht mehr möglich, den Begriff Jazz gezielt zu verwenden. Denn er sagt gar nichts mehr aus; er hat kein Spezifikum mehr. (…) Ich mache zeitgenössische Musik mit hohem Improvisationsanteil“ (Christopher Dell). „Für mich ist Jazz die Musik des Moments, die du zusammen mit anderen Musikern und dem Publikum kreierst“ (Marius Neset). „Jazz bedeutet Freiheit. Und die Möglichkeit Farben zu benutzen“ (Thomas Quasthoff).

Anke Steinbeck hat ein spannendes Buch veröffentlicht. Das Spannungsverhältnis von Improvisation und Komposition, Jazz und Klassik wird von den unterschiedlichen Seiten eingekreist.

Ihre Einführungen zu den Kapiteln sind interessant und lesenswert, aber die besondere Stärke des Buches sind die Gespräche mit den Musiker*innen. Anke Steinbeck hat es mit der Auswahl ihrer Gesprächspartner*innen und mit den richtigen Fragen geschafft tiefgründige Überlegungen zu grundsätzlichen Themen der Musik im allgemeinen und des Jazz im besonderen zu initiieren.

Ein Buch wie ein Jazzstück, mit einer Grundstruktur, in die es immer wieder Einschübe gibt.

Das Buch lässt sich von vorn bis hinten an einem Stück lesen, aber die einzelnen Kapitel stehen auch für sich und ebenso die erhellenden Gespräche mit den Künstlern.

Es lohnt sich immer wieder zu diesem Buch zu greifen, etwas nachzulesen und vielleicht Übersehenes zu entdecken.

Das Buch gehört unbedingt in die Hände aller Jazzliebhaber*innen, kann aber auch allen Klassikhörer*innen bestens empfohlen werden.

Eines der besten Jazzbücher der letzen Jahre, tiefgründig und unterhaltsam.

Anke Steinbeck ist promovierte Musikwissenschaftlerin und arbeitete als Tournee-Managerin und Referentin für Programmentwicklung für verschiedene Festivals und Orchester. Seit einigen Jahren ist sie Projektleiterin des Jazzfest Bonn und freischaffende Schriftstellerin.

Sie forscht unter anderen zum Thema „Musik und Gender“.

Anke Steinbeck

Fantasieren nach Beethoven
Praxis und Geschichte kreativer Musik

Verlag Christoph Dohr Köln,www.dohr.de

144 S., Hardcover

ISBN 978-3-86846-141-1
EURO 20,--

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