Andreas Wagner
Selbstläufer
TEXT: Stefan Pieper |
Sportliche Aktivität und Musikmachen, vor allem freies Improvuisieren hat sehr viel mit „Flow“ zu tun. Was für einen Zustand meint dieses Wort? Ein Kontinuum, in dem sich alles irgendwann von selbst ergibt und jedes Gefühl der Anstrengung aufgehoben ist? Was der Kölner Improvisationsmusiker, Komponist und Saxofonist Andreas Wagner auf seiner „Selbstläufer“-CD tut, das tut nicht er, sondern es tut sich - könnte man interpretieren. Zumindest bestand das künstlerische Anliegen darin, ein schöpferisches Ganzes einzufangen. Damals vor vielen Jahrzehnten, auf einer Aufnahme, die nie veröffentlicht wurde.
Sich nun wieder diesem Material zuzuwenden, es zu bearbeiten und sich schließlich damit auf einer CD zu „outen“ ist das Resultat einer persönlichen Begegnung. Andreas Wagner traf im letzten Jahr am Rande eines Konzertes in Düsseldorf auf den Marler Labelbetreiber Claudius Reimann , der mit seiner Tonkunstmanufaktur solchen Klangerkundungen eine kompetente Plattform bietet, die mittlerweile schon 25 Releases vorweist. Die Chemie zwischen Wagner und Reimann stimmte auf Anhieb. Gleich drei, von ihrem Charakter sehr unterschiedliche Tonträger machten in kurzen Zeitintervallen eine Trilogie komplett. Die erste Produktion „Slow Gait“ präsentiert eine Komposition für vier Kontrabässe und Live-Elektronik, bei der auch Sebastian Gramss mitwirkt.
Aufgenommen wurde in der Kunst-Station Sankt Peter Köln. Das zweite Album „Unschärfen vorab“ präsentiert eine Konzertinstallation im Zwischenbereich von Komposition und freier Improvisation bei der Wagner selbst auf dem Saxophon zu hören ist. „Selbstläufer“ – die dritte und letzte Veröffentlichung legt noch stärker die künstlerischen Prägungen von Andreas Wagner offen und ist zugleich eine Momentaufnahme.
Physikalische Gegebenheiten werden neu interpretiert
Ausgangspunkt war eine tägliche Joggingrunde am linken Rheinufer. Situativ bedingt griff der Kölner Musiker jedes Mal danach zum Instrument. Spielte sich frei, lotete Klangspektren und Grenzen aus, brachte Spieltechniken und physikalische, akustische Vorgänge in spontan assoziierte Bezüge miteinander. Was heraus kam, taugte, um viele physikalische Gegebenheiten beim Musikmachen von ihren Ursprüngen her zu interpretieren. Flagoletts entfalten ihren funkelnden Obertonreichtum. Luft aus Lippen, auf Mundstücken und im Schalltricher generieren mal stationäre, dann wieder bewegte Prozesse. Multiphonics, wo auch die Stimme des Spielers gefordert ist, überwindet jede Einstimmigkeit. Zirkularatmung sprengt die Begrenztheit durch den menschlichen Atemzug.
Andreas Wagner hat offenkundig sehr viel Musik gehört, um zu einer eigenen Sprache zu finden. Seine Saxofontechnik orientiert sich in ausgesuchten Momenten an der Spielweise des britischen Freejazzers Evan Parker. Dieser schichtet auf seiner Solo-CD virtuose Strukturen übereinander, baut rasante Wechsel ein und macht ausgiebig von Permanent- oder Zirkularatmung Gebrauch und entfesselt einen extremen Energielevel dabei. Andreas Wagner denkt solche Prinzipien weiter und macht wiederum etwas eigenes daraus.
Alles ist legitim
Die freie Musik auf „Selbstläufer“ wirkt überhaupt nicht aufbrausend wie bei Evan Parker, sondern kommt sensibel, oft leise-zerbrechlich daher und spürt dem feinen Detail nach. Laut spielen auf dem Saxofon tun bekanntlich andere genug. Zumal auf Selbstläufer mehr passiert – viel mehr: Da überlagern sich akustische Materialschichten und wechseln sich ab, wenn sich ein Field Recording zunehmend als eigenständige Komponente emanzipiert. Also „wächst“ der gleichmäßige dumpfe Puls von Schritten im zügigen Lauf in die Musik hinein - ebenso Atemzüge, Geräusche aus der Umgebung, Stimmfetzen, eine vorbeiratternde Eisenbahn. Oder einfach nur der Wind, der wummernd das Mikro streift. Manche reden hier gerne von musique concrete oder nennen es auch akustische Kunst. Alles ist legitim. Auch beim Hören dieser neuen CD.
Hier CD via e-Mail direkt beim Label bestellen