Aeham Ahmad
Das Leben
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Wem einmal die Massenmedien einen Stempel aufgedrückt bekommen hat, der kommt so schnell davon nicht mehr runter. Der syrisch-palästinensische Pianist Aeham Ahmad zeigt mit seiner neuesten CD unter dem Titel “Das Leben” aber vor allem eins: In erster Linie ist er ein unfassbar versierter Pianist, der voll kreativer Vision künstlerisch nach vorne blickt.
Gebucht und gehypt wird Aeham Ahmad nach wie vor vor allem deshalb, weil die Fernsehbilder von ihm als “Pianist in Trümmern” um die Welt gingen. Keine Frage: Seine Geschichte, wie er mit einem Klavier auf einem wackeligen Rollwagen mitten in den Trümmernwüsten des zerschossenen Flüchtlingscamps Yarmouk improvisierte ist ein ganz großes Statement für die heilende Kraft von Musik und gerade diese Momente haben Aeham Ahmad nach eigenem Bekunden zu dem Jazzmusiker werden lassen, der er heute ist.
Der CD-Titel “Das Leben” deutet darauf hin, dass es hierbei - sechs Jahre, acht CD- und zwei Buchveröffentlichungen nach seiner Flucht nach Deutschland - um künstlerische Positionsbestimmung geht. Was hier den Hörer auf Anhieb anspringt: Aeham Ahmads Spiel ist mit einem sagenhaften Gespür für Timing, Phrasierung und Groove gesegnet! Da lebt in jeder Phrase, jedem Moment eine kühne Erfinderkraft im Detail, um den eigenen Personalstil zu definieren. Er weiß die endlosen Möglichkeiten arabisch-modaler Tonskalen in einen vibrierenden Jazzflow zu integrieren. Sein Kapital ist, dass er -natürlich- die arabisch-nahöstliche Musik als Primärquelle aufgesogen hat, darüber hinaus am Konservatorium vom Damaskus später die Gründlichkeit der russischen Pianoschule mitbekam, da Syrien sich aus Moskau die Professoren für so etwas holte.
Ein musikalischer Hoffnungsappell
Aus einem solchen Nährboden überlegenen musikalischen Könnens erwächst auf “Das Leben” zum Beispiel Aeham Ahmads hellwaches Bewusstein für polyphone Stimmführungen, oft in aufregender Dissonanzreibung. In leuchtender Klangpracht, fast romantisch geprägt, beginnt der Einleitungs-“Monolog” dieses Werkes und bringt Aeham Aahman als empfindsamen Sänger ins Spiel, der in einer weitgespannten Linie auch dem Nicht-Kundigen die Schönheit der arabischen Sprache erfahrbar macht.Alle Texte sind auch auf dem Booklet in Übersetzung abgedruckt, sie reflektieren die eigenen Emotionen und das Leben unter Einfluss des Krieges, in Syrien, appellieren aber auch an Lebensmut und Hoffnung . Die zweite Nummer “Reality” setzt auf ein funkelndes Spiel mit neutönerischen Klängen und zugespitzten Tonabständen. Raffiniert verschachtelt bauen modale Tonfolgen darauf auf, bevor auch dieses Stück auf einen charismatischen Song hinaus läuft. “Rätselhaft” legt mit einem fast bebop-affinen tänzelnden Thema los, mündet dann in eine flamenco-artig aufglühende Pianophrase - so lässig phrasiert, dass man Assoziationen an Hancock/Coreas “La Fiesta” entwickeln mag - bevor Aehams Stimme wieder wie ein schwebender Klangteppich in den Raum abhebt. Die Introduktion zum Titelstück “Das Leben” könnte mit seiner dunklen Choralartigkeit aus der Spätromantik oder frühen Moderne entstammen, bevor Aeham Ahmad auf arabisch zu seiner Hörerschaft spricht. Tiefe Basstöne mit sattem Pedal weiten den Horizont für ein arabeskes Rezitativ im Stück “Jerusalem”, bei dem dann Aehams Vater Ahmad Ahmad auf einer arabischen Violine als Gastmusiker zum Einsatz kommt. Polyphon, in mächtigem Ostinato treibt das Stück Verloren voran - im Zentrum wieder Aeham Ahmads beschwördende Stimme. “Music for hope” funkelt in hohen Lagen, um dann lebensbejahend voran zu treiben. Zum Finale dialogisiert Aeham Ahmad in zwei Stücken auf der arabischen Laute, gespielt von Sami Mustafa. Das alles ist viel mehr als “world music”, liegen doch die Geniestreiche in immer neuen aufregenden Details. Nicht zuletzt viele raffinierte “Regelbrüche” zeugen von der bestechenden musikalischen Intelligenz dieses Musikers, der dies nie als Selbstzweck betrachtet, sondern damit unendlich viel zu sagen hat.
Sämtliche CDs wurden auf seinem Eigenlabel produziert und können direkt auf Aeham Ahmads website bestellt werden:
Konzert-Tipp
Solorecical im Rahmen des Abrahamsfestes der Christlich Islamisch Jüdischen Arbeitsgemeinschaft im Kreis Recklinghausen (CIAG)
Samstag, 6. November 2021, Scharoun-Aula, Westfalenstraße 68A, Marl-Drewer, Beginn 17 Uhr