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111 Jazz Alben, die man gehört haben muss

Die Qual der Wahl

Bochum, 08.02.2020
TEXT: Heinz Schlinkert | FOTO: Emons-Verlag

‚111 ...‘. ist eine Buchreihe des Kölner Emons-Verlags, in der jeweils 111 Orte, 111 Insekten, 111 italienische Weine u. ä. als ‚best of‘ beschrieben werden. Alles in handlichem Format und in ansprechendem farbigen Layout. Jetzt also das gleiche mit Jazz. Kann das was sein? Ja, es kann sein - und es ist auch was!

Diese Jazz-Anthologie ist 2019 erschienen und besticht durch eine sachgerechte Auswahl der Alben, informative Texte und ein prägnantes Vorwort. Ebenso gibt es ein informatives Glossar, in dem die Jazzstile, denen die Alben zugeordnet sind, erklärt werden und das alles zu einem akzeptablen Preis auf stabilem Papier. Zu jedem Album gibt es eine Doppelseite mit farbigen Cover-Abbildungen, jeweils mit Angaben zu Titel, Aufnahme, Veröffentlichung, Jazz-Stil, Besetzung, Label, Produzent und erklärendem Text.

Die Autoren sind der renommierte Journalist und Jazz-Moderator Roland Spiegel und der Berliner Autor Rainer Wittkamp. In den Texten beziehen sie sich auf den historischen Hintergrund der Alben in Verbindung mit der Stil-Entwicklung der Musiker. Sie verfügen über viel Sachkenntnis und schaffen es auf jeweils einer Seite die wichtigsten Zusammenhänge plausibel darzustellen.

Zur Auswahl der Alben: Spannend ist es bei solchen Anthologien immer, welche Musiker und welche Alben ausgewählt wurden. Welche kennt man schon, welche noch gar nicht? Sind die genannten Alben repräsentativ?

In diesem Buch jedenfalls ist die Auswahl stimmig. Bei den Musikern des frühen Jazz kommen ohnehin nur Kompilationen in Betracht, weil es damals noch keine LPs gab. ‚Must Have‘ sind natürlich Miles Davis mit 3 Alben (Kind of Blue, Miles in Berlin, Bitches Brew) und mit je 2 Alben Duke Ellington (Carnegie Hall, At Newport), Coltrane (My Favourite Things, Love Supreme), Keith Jarret, Monk, Cannonball Adderley, Chet Baker und Charles Mingus. Je einmal vertreten sind Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, Benny Goodman, Billie Holiday, Chet Baker, Coleman Hawkins, Count Basie, Dizzy Gillespie, Django Reinhardt, Lester Young, Sidney Bechet, Sonny Rollins, Dave Brubeck, Wes Montgomery, Dexter Gordon, Gerry Mulligan, Lee Konitz, Charlie Parker und viele andere.

Sicher kämen auch für diese Musiker weitere Alben in Betracht, aber es muss ja auch noch Platz für andere bleiben und da fallen vor allem viele HardBop-Alben auf: Curtis Fuller, Art Farmer, Benny Golson, Freddie Hubbard, J. J. Johnson, Lee Morgan, Horace Silver, Mc Coy Tyner und natürlich Art Blakey. Und auch Blues, Bossa Nova und Free Jazz kommen nicht zu kurz. Ob Sinatra unbedingt mit dazu gehört, darüber kann man streiten; müssten dann nicht auch andere Crooner aufgenommen werden? Oder einer steht für alle, und gut so.

Viele Live-Alben finden sich, darunter die berühmten Konzerte von Benny Goodman 1938, Duke Ellington 1947 und 1956, Les McCann & Eddie Harris 1969 und das Köln-Concert von Jarret 1975. Zum Thema Fusion sind neben Miles' Bitches Brew Herbie Hancock , Chick Corea und Weather Report (Black Market) mit Wayne Shorter, Joe Zawinul und Jaco Pastorius mit im Boot. So sind viele Musiker über unterschiedliche Band-Konstellationen mehrfach vertreten.

Ein Musikerverzeichnis am Ende wäre praktisch, um gezielt suchen zu können. Klar, dass der US-Jazz überwiegt, aber der europäische Jazz kommt nicht zu kurz. Vertreten sind u. a. Polen (Komeda Quintet), Deutschland (Brötzmann, Sauer, Joachim Kühn u.a.), Italien (Enrico Rava, Gato Barbieri), Skandinavien (e.s.t.), doch es können hier nicht alle Alben genannt werden. Besonders aufgefallen ist mir das letzte Album im Buch: Pas de Géant von Camille Bertault (Frankreich 2017), auf dem die Sängerin den Vocalese-Stil wiederbelebt und Bezüge zu klassischer Musik, u.a. von Ravel und Bach, herstellt.

Die Auswahl der Alben hängt natürlich vom persönlichen Geschmack der Autoren ab, doch sollte Repräsentativität Vorrang haben. So kann ich jedenfalls nicht nachvollziehen, warum Charlie Parker nur einmal und dann auch noch mit dem Album With Strings vertreten ist. Auch für Sonny Rollins hätte ich eine andere Wahl als The Bridge getroffen. Wenn man die 111 Alben mal auf ihr Erscheinungsdatum durchsieht, fällt auf, dass die 50er und 60er Jahre überproportional vertreten sind (vgl. Diagramm oben). Doch das ist verständlich, es handelt sich hier ja um die ‚heroische Phase‘ des Jazz, in der viele neue Musiker viele neue Ideen entwickelten und dem Jazz neues Leben einhauchten.

Fazit: Ja, es fehlen: Bix Beiderbecke, Ben Webster, Paul Desmond, Jim Hall, Doldinger, Nils Landgren und und … . Aber dann wären es schnell 222 Alben und das Buch wäre fast eine Enzyklopädie. Dieses Buch jedenfalls ist ein idealer Leitfaden für Jazz-Einsteiger. Es eignet sich zum Durchblättern, zum sporadischen Lesen, es gibt einen Anstoß, in manche Alben mal wieder reinzuhören bzw. neue Alben kennenzulernen. Ein gelungenes Buch, das man gerne in die Hand nimmt!

Rainer Wittkamp und Roland Spiegel:

„111 Jazz-Alben, die man gehört haben muss“ , Emons Verlag 2019, Broschur 240 Seiten ISBN 978-3-7408-0574-6 Preis: 16,95 €

Abbildungen mit freundlicher Genehmigung des Emons Verlags

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