Zeitmaschine in die 1920er
"Der Grüne Salon" in der PENG Currator`s Reihe
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: screenshots
Ende der 1920er Jahre schrieben Bertold Brecht, Kurt Weil, Hans Eissler viele ihrer gesellschaftskritischen Songs - sie erzählen so manche harte Story zugleich geht es um die ganz großen gesellschaftlichen Fragen. Christina Schamei und ihre Band “Der Grüne Salon” legen die Essenz dieser Musik und vor allem ihrer Texte auf ehrliche Weise frei. So geschehen an einem virtuellen Konzertabend mit der Band “Der Grüne Salon” im Rahmen der PENG-Curator-Series.
Wenn die Kölner Sängerin Christina Schamei ihre eindringliche Stimme erhebt und ihre Band loslegt, wird die Zeitmaschine angeworfen. Von dem Moment an sind Brecht/Weills lehrstückartige Balladen und Moritaten nicht länger wohlfeile glamourhafte Unterhaltungs-Kabinettstückchen, stattdessen geht es ans Eingemachte.
“Wenn ich mir was wünschen dürfte....... ” wie wird es sein, wenn alles irgendwann einem zu schön sein wird? Sehnt man sich dann nicht auch wieder nach Traurigkeit? Darüber reflektiert der weltberühmte Marlene-Dietrich-Chancon, mit dem "Der Grüne Salon" auf der Bühne des domicil seine imaginären Pforten öffnet. Nur heile Welt - das wäre doch langweilig! Und düster wird es in den Songs aus diesem Spektrum nicht selten ...
Brechts Ballade von der Seeräumer-Jenny ist großes Kino, bei dem kein Stein auf dem anderen bleibt. Eine krasse Story und ganz viel Text. Es geht um ein elementares Thema in Vergangenheit und Gegenwart: Unterdrückte Frauen in einer Macho-Gesellschaft, aber auch Ausbeutung, Ungleichheit. Die "Seeräuber-Jenny", zu niedrigen Putztätigkeiten verdammt, erträumt sich die große Abrechnung: Ein Piratenschiff wird kommen und alle Ausbeuter und Unterdrücker um die Ecke bringen. Brechts Ballade exerziert dieses Szenario detailreich durch. So sanftmütig und etwas schüchtern Christina Schamei diese literarischen Meisterwerke ansagt,so druckvoll, energisch-bohrend durchstößt ihr Gesang jede Oberflächlichkeit, so messerscharf artikuliert sind die Worte in dieser reportagehaften Schilderung, wie das große Fanal ablaufen wird. Auch diese Brecht-typische Ästhetik, das gesungene ins gesprochene Wort fließend übergehen zu lassen, steht Christina Schameis Stimme vortrefflich.
Hier geht es direkt zum Video! Dem Konzert (Beginn bei ca 10:00 Min) ist ein Interview-Statement von Romy Camerun vorangestellt...
Ganz tief taucht auch die Band in die gemeinsame Sache ein. Saxofonistin Johanna Klein agiert als die “andere”, weichere, kommentierende Stimme. Sie kommentiert und reflektiert, ihre weiche Tongebung sagt, dass es wohl mehr Fragen als Antworten gibt in dieser chaotischen Welt. Bassist Marcel Reichard sorgt für ruhelosen aufrührerischen Puls, kontrolliert mit auf wesentlicheste reduzierten Mitteln jeden subtilen Tempowechsel. Pianist Simon Below malt unaufdringlich den atmosphärisch Raum aus, was dem autentischen Flair dieses imaginären Musik-Theaters nur gut tun kann.
Viele weitere Songs von Brecht, Weill, aber auch von Hanns Eisler bringen noch mehr Aspekte auf diese Bühne. Im Zentrum stehen immer Frauenrollen, in plakativen Figuren verkörpert. Etwa jene schlitzohrige Zuhälterin, die in der Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" über den Wert ihrer Prostituierten feilscht. Oder in Brecht/Eislers Ballade als Mutter Beimlein, die mit dem Holzbein auf den Strich geht. Manchmal siegt die Kraft der Liebe über das Kämpferische, so dass Ohnmacht bleibt: “Surabaya Johnny” aus Bertold Brechts/Kurt Weills selten aufgeführter Tragikomödie "Happy End" wird durch den kraftvollen Gesang von Christina Schamei und ihrer Band zu dem, was es ursprünglich gedacht war - eben keine Unterhaltungsnummer, sondern eine mächtige Parabel über menschliches Miteinander. Ein geliebter Mensch kann unehrlich, schlecht und ein Arschloch sein, aber die Liebe ist einfach die mächtigere Kraft. Im guten und im schlechten und die Ohnmacht oft nicht weit.
Jazz und Politik gehören zusammen - das PENG-Kollektiv bemüht sich hier um Aussagen mit Substanz. Jeder Abend der PENG-Curator-Reihe hat einen Wortbeitrag zu einem ausgewählten Thema: An diesem Abend gab sich Romy Camerun die Ehre. Sie ist bekanntlich die gemeinsame Gesangslehrerin von allen Mitgliedern des PENG-Kollektivs. Romy Cameron redet über kulturelle Aneignung. Die finde ihrem Bekunden nach vor allem bei den Wurzeln des Jazz statt, nämlich der schwarzen Kultur und dem Blues. Das große Geld haben im Musikbusiness doch oft Weiße gemacht - etwa Janis Joplin oder Amy Weinhouse - eben weil ihre "schwarze" Stimme zum wichtigsten Marktfaktor wurde. Über so etwas nachdenken, hat auch immer - in Camerons Worten - mit “Empathie” zu tun...