In der Reinheit liegt die Kraft
Guy, Nabatov und Hemingway in tiefer Versenkung
TEXT: Stefan Pieper | FOTO: Stefan Pieper
Bassist Barry Guy, Pianist Simon Nabatov und Schlagzeuger Gerry Hemingway leben Freiheit und lassen sich auf die Begegnung ohne Netz und doppelten Boden ein. In der Musik sind sie in der Lage, ohne Vorausplanung, dafür mit umso mehr Erfahrung und Intuition, um Entscheidungen im jeweiligen Moment zu treffen. Damit agiert dieses Weltklasse-Trio des frei improvisierten Jazz vorbildhaft – auch für das Leben jenseits von der Musik.
Der in der Schweiz lebende gebürtige Brite Barry Guy und der amerikanische Schlagzeuger bilden schon lange eine eingeschworene Einheit – das Treffen mit dem in Moskau geborenen seit 25 Jahren in Köln lebenden Tastenvirtuosen und -forschers Simon Nabatov stand schon lange auf dessen persönlicher Wunschliste. Nabatov hatte die beiden Ausnahme-Improvisatoren nach NRW eingeladen, um sein Köln-Jubiläum gebührend zu begehen.
Gleich drei Auftritte boten Zeit genug fürs Sich-Aufeinander einlassen und für das Aufsaugen von verschiedenen Stimmungen und Energien, um auf diese im frei improvisierten Trialog zu reagieren. „Dieses Wechselspiel, das unmittelbar unser Spiel beeinflusst und sich ständig ändert, war der große Reiz bei diesen drei Konzerten hintereinander“ sagte Barry Guy später im Gespräch.
Ein Wechsel von Energieleveln, ein Kaleidoskop aus Stimmungen, aus Temperamenten, aus Klangfarben und Zuständen ist der Liveauftritt im Münsteraner Cuba. Ein Unikat sowieso, weil beim nächsten Mal alles wieder ganz anders käme, wo sich die höchste Kunst in Echtzeit entfaltet. Da lotet - konsequenterweise die Mitte dieses Trios auf der Bühne bildend- Barry Guy, mit seinem farbenreichen, mal flächigen, dann wieder singend oder auch perkussiv-geräuschaften Spiel die Prozesse in allen Richtungen aus. Gerry Hemmingway agiert nicht minder hellhörig und ausgesprochen beweglich, wenn er zwischen aggressiven Impulsen und leistestem Pianissimo vermittelt. Simon Nabatov füllt die noch fehlende Kompomente in diesem gleichseitigen Dreieck mit seinem manchmal wuchtigen, mitunter auch zerbrechlichen, aber immer extrem vielgestaltigen Spiel zwischen Jazzidiomatik, Neuer Musik, zwischen spektraler Geräuschhaftigkeit und herausfordernder Virtuosität. Das alles ist ein extrem dichter Wechsel aus Anbieten, Aufnehmen, aus Integrieren und Reflektieren. Oder nennen wir es Klangrede – ein Wort, das sonst in ganz anderen Musiksparten zur Anwendungen kommt. Dass dieser engagierte, offene Austausch von Ideen einer bestens gereiften Rhetorik gleichkommt, zeigt sich auch daran, dass die drei zwischen Neubeginn und Innehalten intuitiv Konsens finden. Dass die Stücke von selber wie Phrasen in einem Gespräch irgendwann enden. Meist in einem zarten Pianissimo, wo letztlich eine ryhthmische Struktur des Schlagzeugers übrig bleibt und schließlich zart verklingt....
„Am Jazz fasziniert mich diese Reinheit“ sagt spontan eine Konzertbesucherin nach dem Auftritt. Weiter neugierig nach deren subjektiven Eindrücken gefragt, bekundet sie, dass sie eben nicht zu der - regelmäßig das aktuelle Geschehen verfolgenden - Kenner-Fraktion gehört. Im Gegenteil, es sei über Jahrzehnte her, dass sie zum letzten mal Jazz live erlebt habe. Aber hier haben sie eben alles unmittelbar und intuitiv erfühlt.